Das Magdalena-Evangelium: Roman
hasserfüllten Reden. Sie packte ihr Handy und riss es aus der Tasche, kaum dass sie draußen war. Sie hatte keine Zeit zum Nachdenken, keine Zeit, irgendetwas zu tun, außer herauszufinden, wo Maureen war.
Sie drückte die Schnellwahltaste für Roland und hätte am liebsten geweint, als sie seinen tröstlichen okzitanischen Akzent hörte. Die Verbindung war schrecklich, und sie musste mehrmals schreien, um verstanden zu werden. »Maureen! Wo ist Maureen jetzt? Weißt du das?«
Verdammt! Sie konnte seine Antwort nicht verstehen. Sie schrie erneut. »Was? Ich kann dich nicht hören! Schrei, Roland! Schrei, damit ich dich hören kann!«
Roland schrie. »Maureen – ist – hier!«
»Bist du sicher?«
»Ja. Sie hat nach dir gesucht! Sie …«
Und die Verbindung riss ab. Auch gut, dachte Tammy. Ich will Roland nichts erklären müssen, bevor ich nicht Zeit hatte, alles noch einmal zu überdenken …
Solange Maureen im Château des Pommes Bleues in Sicherheit war, hatten sie Zeit, sich neu zu formieren. Tammy würde sich noch vor dem Abendessen mit Sinclair treffen und eine Strategie entwerfen.
Tammy überprüfte die Zeit auf ihrem Handy. Sie sollte den Chauffeur in weniger als einer halben Stunde am Stadttor treffen. Das war kein langer Marsch von hier aus, aber sie war nicht sicher, ob sie ihren wackeligen Knien vertrauen konnte, sie so schnell dorthin zu tragen. Tammy setzte sich in Bewegung und versuchte zu atmen, während sie über die schockierenden Dinge nachdachte, die sie von und über Derek gelernt hatte. Als alles in lebhaften Farben wieder zurückkehrte, drehte sich ihr der Magen um. Sie sah unmittelbar vor sich den Garten eines kleinen Hotels, lief hinein und erreichte gerade noch rechtzeitig die Büsche, um sich unbemerkt zu übergeben.
Maureen fühlte sich zutiefst schuldig, weil sie Peter vernachlässigt hatte. Doch als sie von ihrem Ausflug mit Jean-Claude wieder zurückkehrte, war er nirgends zu finden.
»Ich habe den Abbé seit heute Morgen nicht mehr gesehen«, informierte Roland sie. »Er hat spät gefrühstückt; dann ist er mit Ihrem Leihwagen weggefahren. Aber es ist Sonntag. Ist er vielleicht zur Kirche gegangen? Es gibt viele hier in der Gegend.«
Maureen nickte und dachte nicht weiter darüber nach. Peter war weltgewandt und sprach fließend Französisch; also war es nur logisch, dass er sich eine Messe gesucht hatte und vielleicht noch zu ein paar Sehenswürdigkeiten gefahren war.
Maureen war später mit Tammy zum Diner verabredet – ein Termin, den sie zwar einhalten wollte, weil sie sich darauf freute, aber nicht auf Kosten von Peters verletzten Gefühlen. Sie fragte Roland: »Gibt es eine Möglichkeit, Tamara Wisdom zu kontaktieren? Ich weiß nicht, ob sie ihr Handy dabeihat.«
» Oui , das hat sie. Und ich kann das für Sie erledigen, da ich sie ohnehin um etwas für Monsieur Berenger bitten soll. Stimmt etwas nicht?«
»Nein, nein. Ich habe mich nur gefragt, ob es ihr etwas ausmachen würde, wenn Peter sich beim Abendessen zu uns gesellt.«
»Ich bin sicher, das wird kein Problem sein, Mademoiselle Paschal. Tatsächlich glaube ich sogar, dass sie mit dem Erscheinen des Abbé rechnet. Sie hat mich gebeten, um acht Uhr ein Diner für vier zu servieren.«
Maureen dankte Roland und zog sich in ihr Zimmer zurück. Vorher klopfte sie aber noch an Peters Tür – keine Antwort. Sie rüttelte an dem vergoldeten Knauf, schob die Tür sanft auf und spähte hinein. Peter hatte seine Sachen ordentlich neben das Bett gelegt: seine in Leder gebundene Bibel und den Rosenkranz mit den Kristallperlen. Er selbst war jedoch nirgends zu sehen.
Maureen kehrte in ihre eigene Palastsuite zurück und holte das größere ihrer beiden Ledernotizbücher heraus. Sie wollte über Montségur schreiben, solange die Erinnerung noch frisch war. Doch als sie das elastische Band vom Buchdeckel zog und die Seiten aufschlug, war es zu ihrer eigenen Überraschung eine andere Märtyrergeschichte, die ihr in den Sinn kam …
Maureen hatte sich auf ihrer Reise ins Heilige Land mit einer Hand voll Pilger auf den gewundenen Felspfad gemacht und die zerklüfteten Berge am Toten Meer erklommen. Sie war sich selbst nicht sicher, was genau sie dazu trieb, diese schweißtreibende Kletterpartie zu unternehmen. Selbst jetzt, früh am Morgen, war die Hitze überwältigend. Die anderen auf dem Weg waren alle Juden, und für sie war es offensichtlich eine sie tief bewegende Pilgerreise. Maureen konnte dergleichen weder
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