Das Magdalena-Evangelium: Roman
zu Bett – zur selben Zeit wie Roland. Maureen hatte die beiden den ganzen Tag beobachtet und war zu dem Schluss gekommen, dass dies kein Zufall war. Die Nacht nach der Party fiel ihr wieder ein, als sie Tammy im Korridor gehört hatte, begleitet von einem Mann, der Englisch mit Akzent sprach. Tammy und Roland. Die beiden hatten etwas miteinander, aber alt war die Beziehung noch nicht. Wenn die Dinge sich etwas beruhigt hatten, würde sie Tammy danach fragen. Sie wollte die Wahrheit über alle Beziehungen im Château des Pommes Bleues erfahren.
Ihre Aufmerksamkeit wurde jäh auf die Schriftrollen zurückgelenkt, als Sinclair laut rief: »Mein Gott! Schaut euch das an!«
Er hatte Peter wieder über die Schulter geschaut. Der kritzelte unermüdlich auf seine Notizblöcke, übersetzte den griechischen Text Wort für Wort. Natürlich ergab es nicht sofort einen Sinn. Zuerst musste Peter die einzelnen Wörter transkribieren, dann musste er unter Einsatz seines ganzen linguistischen Fachwissens die Sätze so umformen, dass sie von Lesern des einundzwanzigsten Jahrhunderts verstanden werden konnten.
»Was ist?«, fragte Maureen.
Peter schaute auf und fuhr sich mit den Händen übers Gesicht. »Das musst du sehen. Komm bitte her, wenn du kannst. Ich wage im Moment nicht, die Schriftrolle zu bewegen.«
Langsam erhob sich Maureen von der Couch, vorsichtig wegen ihrer Kopfwunde, trotz der wundersamen Heilung. Sie ging zum Tisch, auf dem die Blätter ausgebreitet lagen, und nahm rechts von Peter Platz. Sinclair deutete auf die alten Dokumente, während Peter erklärte.
»Dieses Zeichen erscheint am Ende jedes größeren Abschnitts, den wir Kapitel nennen werden. Es sieht aus wie ein Wachssiegel.«
Maureen erkannte das Symbol, auf das Sinclairs Zeigefinger deutete. Das vertraute Muster ihres Rings – neun Kreise, die sich um einen zehnten schlangen – stand am Ende jeder Seite.
»Maria Magdalenas Siegel«, sagte Sinclair ehrfürchtig.
Maureen hielt ihren Ring daran. Er war identisch. Ja, es sah sogar aus, als seien es Darstellungen von ein und demselben Ring.
Als die Sonne hinter den Bergen aufstieg, war bereits der größte Teil des ersten Buches, der in der Ich-Form erzählte Bericht der Maria Magdalena, übersetzt. Peter schuftete wie ein Besessener. Sinclair hatte ihm Tee bringen lassen, doch außer einer zweiminütigen Pause für ein paar hastige Schlucke hatte Petersich keine Ruhe gegönnt. Er war äußerst blass, und Maureen machte sich Sorgen.
»Peter, du musst mal eine Pause machen. Ein paar Stunden schlafen.«
»Nein«, entgegnete er mit Nachdruck. »Das geht nicht. Ich kann jetzt nicht aufhören. Du verstehst das nicht, denn du hast nicht gesehen, was ich gesehen habe. Ich muss weitermachen. Ich muss wissen, was sie noch zu sagen hat.«
Sie hatten alle beschlossen zu warten, bis Peter das Gefühl hatte, seine Übersetzung sei gut genug, um in Teilen vorgelesen zu werden. Alle respektierten Peters Fachkenntnis und waren sich bewusst, welche Verantwortung auf seinen Schultern lastete, dennoch stellte das Warten ihre Geduld auf eine harte Probe. Denn zum jetzigen Zeitpunkt kannte allein Peter den Inhalt der Schriftrollen.
»Ich darf sie nicht liegen lassen«, fuhr er fort. In seinen Augen glänzte ein Fieber, das Maureen nie zuvor gesehen hatte.
»Nur fünf Minuten. Komm mit mir, und wir gehen fünf Minuten in der Morgenfrische spazieren. Das wird dir guttun. Dann kannst du wieder an die Arbeit gehen, und wir lassen dir Frühstück bringen.«
»Nein, ich will nichts essen. Bis die Übersetzung fertig ist, muss ich fasten. Ich darf jetzt nicht aufhören.«
Sinclair glaubte zu verstehen, wie Peter zumute war, doch er sah auch, wie ausgepowert der Priester war. Er versuchte es mit einer anderen Taktik. »Father Healy, Sie haben verdienstvolle Arbeit geleistet, aber wenn Sie überlastet sind, wird die Genauigkeit der Übersetzung darunter leiden. Ich gebe Roland Bescheid, dass er auf die Dokumente aufpasst, während Sie sich eine Pause gönnen.«
Sinclair läutete, um Roland herbeizurufen. Peter blickte zu seiner besorgten Cousine auf.
»Na schön«, willigte er ein. »Fünf Minuten, um ein bisschen frische Luft zu schnappen.«
Sinclair hatte das Tor zu den Gärten der Dreifaltigkeit aufgeschlossen, damit Maureen und Peter darin spazieren gehen konnten. Eine Taube flog über die Rosenbüsche, und der Magdalena-Brunnen sprudelte fröhlich in der Morgensonne.
Mit leiser, ehrfürchtiger Stimme begann
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