Das Magdalena-Evangelium: Roman
Freunde und Landsleute und ihre Lehrer an der Universität, von denen einige es in der Kirchenhierarchie inzwischen zu Amt und Würden gebracht hatten. Als es Zeit zu gehen war, versicherte Peter seinem alten Freund, dass er sich nach ihrem Gespräch schon viel besser fühle.
Er log.
Am Nachmittag kehrte Father Brian Rourke schweren Herzens und mit argen Gewissensbissen wieder in sein Büro zurück. Dort saß er lange Zeit einfach nur da und blickte zu dem Kreuz über seinem Schreibtisch. Dann seufzte er resigniert, griff nach dem Telefon und wählte eine Nummer in Louisiana. Er brauchte sie nicht im Telefonverzeichnis nachzusehen.
»Hallo?«, sagte eine Stimme mit irischem Akzent.
»Bischof O’Connor, es gibt hier etwas, das Sie wissen sollten …«
New Orleans
Juni 2005
Maureen fuhr in ihrem Mietwagen durch die Außenbezirke von New Orleans, auf dem Beifahrersitz einen Stadtplan. Sie bremste ab, fuhr an den Straßenrand und warf einen kurzen Blick auf die Karte, um zu sehen, ob sie sich noch immer auf dem richtigen Weg befand. Zufrieden fädelte sie sich wieder in den Verkehr ein. Als sie um die nächste Kurve bog, kamen die oberirdischen Monumentalgräber im Stil von Sarkophagen in Sicht, für die New Orleans’ Friedhöfe so berühmt waren.
Maureen stellte den Wagen auf einem Parkplatz ab und griffauf den Rücksitz, um sich ihre große Handtasche und die Blumen zu schnappen, die sie von einem Straßenhändler gekauft hatte. Dann stieg sie aus dem Wagen, wobei sie sorgfältig die Pfützen mied, die von einem frühsommerlichen Gewitter übrig geblieben waren, und ließ ihren Blick über die Landschaft gepflegter Gräber schweifen. Kunstvolle Gedenktafeln und Blumengebinde erstreckten sich über mehrere Morgen hinweg. Maureen atmete tief durch und ging mit den Blumen in der Hand auf das Friedhofstor zu. Am Haupteingang blieb sie kurz stehen und schaute nach oben; dann wandte sie sich plötzlich nach links, ohne den Friedhof betreten zu haben.
Maureen ging außerhalb der Mauer um den eigentlichen Friedhof herum, bis sie eine weitere Reihe von Gräbern erreichte. Diese Gräber waren von Moos und Flechten überwuchert, wirkten vernachlässigt und mitleiderregend.
Langsam, vorsichtig und ehrfürchtig wanderte Maureen zwischen den Gräbern hindurch. Sie kämpfte mit den Tränen, als sie über die vergessenen Grabstätten hinwegstieg, Gräber von Menschen, die selbst im Tod verlassen waren. Das nächste Mal würde sie mehr Blumen mitbringen, Blumen für alle hier.
Schließlich kniete Maureen sich nieder und schob die Flechten beiseite, die eine verwitterte Gedenktafel bedeckten. Der Name darauf lautete: EDOUARD PAUL PASCHAL .
Mit einer gehörigen Portion Wut riss Maureen die anstößigen Pflanzen aus. Erdbrocken und Pflanzenteile flogen durch die Luft, während sie das Areal freiräumte, und Maureen bemerkte den Dreck und den Schlamm noch nicht einmal, die sich unter ihren Fingernägeln und auf ihrer Kleidung sammelten. Zu guter Letzt strich sie alles mit den Händen glatt und rieb die Tafel sauber, sodass der Name wieder deutlich zu erkennen war.
Nachdem sie zufrieden festgestellt hatte, dass das Grab so sauber war, wie sie es hatte bewerkstelligen können, legte Maureen die Blumen darauf. Dann öffnete sie die Handtasche und holte den Bilderrahmen heraus. Einen Augenblick lang betrachtetesie das Foto und ließ ihren Tränen freien Lauf. Das Bild zeigte Maureen als Kind, kaum älter als fünf oder sechs, auf dem Knie eines Mannes, der ihr etwas vorlas. Beide lächelten einander glücklich an, ohne auf die Kamera zu achten.
»Hi, Daddy«, flüsterte sie leise, bevor sie das Foto an die Gedenktafel stellte.
Maureen blieb noch einen Moment. Mit geschlossenen Augen versuchte sie, sich ihren Vater ins Gedächtnis zurückzurufen. Abgesehen von diesem Foto besaß sie nur wenig, was Erinnerungen an ihn hätte wachrufen können. Nach seinem Tod hatte ihre Mutter jedwede Diskussion über den Mann oder seine Rolle in ihrem Leben verboten. Für sie hatte er schlicht aufgehört zu existieren, wie auch seine Familie. Kurz danach waren Maureen und ihre Mutter nach Irland gezogen. Ihre Vergangenheit in Louisiana war weit ins Unterbewusstsein eines traumatisierten und trauernden Kindes verdrängt worden.
Früher an diesem Morgen hatte Maureen im Telefonbuch von New Orleans geblättert und nach Menschen mit dem Namen Paschal gesucht. Es gab eine ganze Reihe davon, und einige waren mit ihr vielleicht sogar verwandt.
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