Das Magdalena-Vermächtnis: Roman
Thron des heiligen Petrus hatte er sich durch das Labyrinth der römischen Politik gewunden, indem er nach allen Regeln der Kunst bestach, betrog, bedrohte und falsche Versprechungen machte. Niemandem nützte dies so sehr wie seiner Familie und vor allem den Verwandten seiner Schwester, der Riario-Sippe. Obwohl Sixtus IV. erst wenige Monate auf dem Papstthron saß, hatte er nicht weniger als sechs Neffen die Kardinalswürde verliehen. Damals bildete sich ein Begriff, der die korrupte Praxis veranschaulichte, unwürdigen Familienmitgliedern Stellungen zukommen zu lassen, die andere wesentlich besser ausgefüllt hätten: Aus dem lateinischen Wort für Neffe – nepos – bildete sich das Wort nepotismo , Vetternwirtschaft.
Einer dieser »Neffen« hatte Lorenzo in die derzeitige Zwickmühle gebracht. Die Erwähnung Girolamo Riarios löste in Rom stets verstohlenes, aber hämisches Grinsen aus. Zwar wurde er der riesigen Schar von Sixtus’ Neffen zugerechnet, doch hinter vorgehaltener Hand tuschelte man, dass Girolamo höchstwahrscheinlich ein illegitimer Sohn des Papstes sei. Anders als die anderen Neffen, die wenigstens einen Anflug von Anmut und Bildung besaßen, war Girolamo frech und flegelhaft und neigte überdies zur Korpulenz, die auffallende Ähnlichkeit mit der seines »Onkels« aufwies. In Roms Gerüchteküche hieß es, Girolamos Erscheinung und Eigenarten bewiesen eben doch, dass der Apfel nicht weit vom Stamm falle.
Dass seine Schwester das skandalöse Geheimnis gehütet hatte, indem sie Girolamo als ihren Sohn ausgab, war einer der vielen Gründe, warum Sixtus ihr zu Dank verpflichtet und stets darauf bedacht war, seinen »Neffen« zu bevorzugen.
Und jetzt war die verschlungene und oft schmutzige Familienpolitik der della Rovere und Riario auf Lorenzos Türschwelle gelandet. Die Verderbtheit dieser Menschen verursachte ihm Ekel, doch sie waren unbestreitbar die ersten Familien Roms. Lorenzo war zur Papstkrönung in die heilige Stadt gereist; er hatte Sixtus seine Aufwartung gemacht und ihm versichert, die Medici-Bank werde stets die Hausbank der Kurie bleiben, so wie es drei Generationen lang gehalten worden sei – seit jenen Tagen, als Lorenzos Urgroßvater Giovanni die Politik des Papstes beeinflusst hatte, indem er der Kirche strategische Darlehen gewährte.
Papst Sixtus hatte Lorenzo mit einer Umarmung willkommen geheißen und ihm versichert, die Stellung der Medici in Rom sei so stark wie immer. Lorenzo wollte, dass es so blieb. Die Bankgeschäfte mit der Kirche waren ein Eckpfeiler der Gewinne, die sein Haus machte. Außerdem stärkten sie seine Stellung in anderen Gegenden Europas.
All dies lastete schwer auf Lorenzo, als er die neueste päpstliche Anfrage erwog, die per Bote an diesem Morgen aus Rom eingetroffen war. Papst Sixtus IV. bat um ein Darlehen in Höhe von vierzigtausend Dukaten – eine ungeheure Summe – für seinen sogenannten Neffen Girolamo. Es war eine Art Realkredit, da der habgierige Girolamo das Städtchen Imola kaufen und seinem Besitz einverleiben wollte.
Geld war hier nicht das Thema. Die Bank konnte das Darlehen durchaus gewähren, und die Rückzahlung war durch das Wort des Papstes gewährleistet, weshalb das Risiko gering war. Der erschwerende Faktor in diesem Fall war die Lage von Imola und der aggressive Charakter Girolamos. Imola lag in einer strategisch wichtigen Gegend, in der Nähe Bolognas und somit zwischen Florenz und der reichen Emilia-Romagna. Die Stadt warder perfekte Stützpunkt für jeden, der seinen Machtbereich ausdehnen wollte. Und so wie Lorenzo Girolamo Riario einschätzte, war der junge Mann genau darauf aus. Außerdem verlief die längste Straße, die Florenz mit dem Norden verband, unter anderem durch Imola und konnte daher von dessen Herrscher kontrolliert werden.
Wenn Lorenzo Girolamo Riario den erbetenen Kredit gewährte, gefährdete er die Territorien um Imola, die unter dem Schutz der Republik Florenz standen. Seines Florenz. Und das konnte er unmöglich tun, selbst wenn die Kurie ihm drohte.
Also beschied Lorenzo das Ersuchen abschlägig. Er schickte einen Boten mit einem sorgfältig formulierten Schreiben nach Rom, in dem er andeutete, die Medici-Bank nehme zurzeit tief greifende Änderungen vor und könne daher keine Kredite in der geforderten Höhe geben. Er schob die Auseinandersetzung hinaus, und jeder wusste es – auch Papst Sixtus IV.
RRRRRRRRRRRRR
Rom
1477
»Dieser verfluchte Kaufmannsbalg eines gichtigen
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