Das Magdalena-Vermächtnis: Roman
Schlägereien losbrechen, die zu noch mehr Blutvergießen führten.
Girolamo Savonarola brannte mitten in Florenz, auf der Piazza della Signoria. Er nahm das gleiche schreckliche Ende wie die vielen Kunstwerke und Bücher, die er in den letzten fünf Jahren zerstört hatte. Der dreiundzwanzigste Mai würde für Sandro Botticelli in Zukunft der Tag sein, an dem die Kunst wiedergeboren wurde.
Die Sendung an Papst Alexander VI., die Colombina mit so viel Sorgfalt zusammengestellt hatte, war in Rom gebührend in Empfang genommen worden. Sie enthielt mehr als genug Beweise, um Savonarola der Ketzerei anzuklagen und zu überführen.Der Zeitpunkt war gut gewählt, denn in Florenz wuchs der Widerstand gegen die Unterdrückung durch den Bußprediger. Die Jahre des Gottesstaates forderten ihren Tribut. Der Verrückte Mönch, der sich einst als Retter des Volkes ausgegeben hatte, drohte vom Volkszorn hinweggefegt zu werden. Doch der Mob war wankelmütig; als Savonarola verhaftet wurde, kam es zu Kämpfen zwischen seinen Anhängern und seinen Gegnern, und in Florenz brachen Chaos und Unruhen aus.
Doch am heutigen Tag schien es, als unterstütze der Mob das päpstliche Dekret, Savonarola als Ketzer abzustempeln. Neben den höhnischen »Piagnoni« -Rufen konnte man auch den Ruf vernehmen: »Florenz ist befreit!«
Der Gestank brennenden Fleisches verursachte Sandro heftige Übelkeit. Außerdem plagte ihn sein Gewissen. Nun, da seine Aufgabe erfüllt war, würde er wieder beten müssen. Er musste versuchen, Vergebung zu erlangen, um seine Mission fortführen zu können.
Aber nicht heute.
Heute würde er in der Taverne von Ognissanti feiern, die zum ersten Mal seit Jahren wieder geöffnet hatte, denn auch die Taverne war von Savonarola geschlossen worden. Sandro würde sich an den Tisch setzen, den er so viele Male mit Lorenzo geteilt hatte, und würde sein Glas erheben auf seinen Freund, auf seinen liebsten Bruder, und ihm danken für das, was er ihm, Florenz und der Welt geschenkt hatte. Heute wollte Sandro lieber schreiben als zeichnen. Er würde etwas über den Bruder schreiben, der ihn und seine Kunst beseelt hatte.
Und dann, vielleicht, würde er wieder malen können – nach sehr langer Zeit. Denn heute war ihm, als wäre er neu geboren.
Fast jeden Sonntagmorgen machte Colombina sich auf den langen Weg nach Montevecchio. Sie begann ihren Tag mit einem Gebet im geheimen Garten in Careggi, der ihre spirituelle Zuflucht war, seit Lorenzo sie vor vielen Jahren zum ersten Mal dorthin gebracht hatte. Die Statue der Maria Magdalena, der Königin der Barmherzigkeit, glänzte trotz ihres Alters mit einer wunderschönen Patina, denn Colombina reinigte und polierte sie bei jedem Besuch.
Nach dem wöchentlichen Gebet ging sie in Fra Francescos Haus und kam ihren Pflichten als Chronistin des Ordens nach. Sie schrieb, was der Meister ihr diktierte, sorgsam darauf bedacht, seine Worte exakt zu Papier zu bringen. Gemeinsam schufen sie ein heiliges Buch, ein verschlüsseltes Meisterwerk der Lehren und der Geschichte des Ordens. Diese Aufgabe verlangte Colombinas ganze Konzentration, denn der Meister sprach in einer Mischung aus Latein und Italienisch, wechselte manchmal sogar ins Griechische. Und Colombina schrieb nicht nur Allegorien und Lehrsätze auf, sie fertigte überdies aufwendige Zeichnungen an und fügte architektonische Angaben hinzu, die zur Fertigstellung des Werkes erforderlich waren. So nahm das Buch mit der Zeit beachtliche Ausmaße an.
Fra Francesco hatte es Colombina erklärt: »Wenn das Manuskript fertig ist, bringen wir es nach Venedig zu Aldus, dem dortigen Ordensvorsteher, der es für uns in Druck geben wird. Dann werden wir zum ersten Mal, seit es unseren Orden gibt, Aufzeichnungen unserer Lehren besitzen, die für die Zukunft bewahrt werden können. Rom wird über Ketzerei wettern, aber unser Buch wird sorgfältig verschlüsselt sein, sodass man es niemals wird beweisen können.«
Und so war das Werk in den sieben Jahren seit Lorenzos Tod gediehen: Colombina hatte ohne Unterlass geschrieben und Zeichnungen und Gemälde eingefügt, die der Meister bei den führenden Künstlern der Renaissance gesammelt hatte. Vieles von Lorenzos und Colombinas Geschichte war in allegorischerÜberhöhung in das Buch eingeflossen. Es erzählte die Legende eines Mannes auf einer Entdeckungsreise durch eine fantastische Traumlandschaft; ein Mann, der die Wahrheit des Lebens durch eine Liebe findet, die auf viele Widerstände
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