Das Magdalena-Vermächtnis: Roman
Schakale Roms und ihrer priesterlichen Handlanger in Paris zusammengebrochen, Cosimo. Ich habe ihre Käuflichkeit verachtet, aber nichts dagegen unternommen, denn am Ende war ihre Macht stärker als ich.« Seine Stimme brach, als er einem seiner ältesten Freunde nun das ganze Ausmaß seines Versagens enthüllte. »Ich hätte sie retten können, weißt du, aber ich … ich …«
René konnte nicht weitersprechen. Die Jahre der Schuld und des Leids schlugen wie eine Woge über ihm zusammen. Der König von Neapel und Jerusalem begrub das Gesicht in den Händen und brach in Tränen aus. Cosimo schwieg taktvoll und wartete, während René seinem Schmerz freien Lauf ließ.
Nach einer Minute hob René den Kopf und wischte sich die Tränen aus den Augen. »Ich habe sie im Stich gelassen«, gestand er. »Ich habe den Orden im Stich gelassen. Ich habe sogar Gott im Stich gelassen. Fra Francesco meint, dass mir bereits vergeben wurde. Aber diese Vergebung kann ich nicht annehmen, dennzuvor muss ich mir selbst vergeben können. Du kannst mir helfen, alter Freund, Wiedergutmachung zu leisten, indem du dieses Kind als wahren Dichterfürsten unserer Prophezeiung erziehst. Lass ihn aus meinen Fehlern lernen und schwören, dass er sie nicht wiederholt. Zu seiner Vollendung werde ich ihm einen Schatz hinterlassen, einschließlich unseres heiligen Libro Rosso, denn es gehört in die Hand eines Würdigen. Und ich will, dass er dies hier bekommt.«
René hob die Hand und löste die Schließe einer langen Silberkette, die unter seiner Kleidung verborgen war. Als er die Kette abnahm, sah Cosimo, dass ein Anhänger daran befestigt war, ein kleines Silberreliquiar. René erhob sich aus seinem Sessel und reichte Cosimo das Schmuckstück. Dann ging er im Zimmer auf und ab.
»Es hat Jeanne gehört«, sagte er schlicht und wartete, ob seine Worte Wirkung zeigten. »Es war ihr Schutzamulett, ein Schmuckstück, das innerhalb des Ordens vererbt wurde. Es wurde ihr zur Geburt geschenkt, am Tag der Sommersonnenwende, nachdem man bestimmt hatte, dass sie … als man sicher war, wer und was sie war. Sobald Jeanne alt genug war, Sinn und Zweck dieses Schatzes zu begreifen, trug sie ihn stets bei sich. Am Tag ihrer Verhaftung hatte die Kette sich gelöst, und man fand das Amulett dort auf dem Boden, wo sie sich zuletzt angekleidet hatte. Die Kette war zerrissen. Jeanne hatte offenbar nicht gemerkt, dass sie es verloren hatte, denn ohne dieses Amulett wäre sie nie aus dem Haus gegangen. Ich behaupte sogar, sie wäre nie verhaftet worden, wenn sie es getragen hätte. Sie würde heute noch unter uns weilen. Die Kräfte dieses Schutzamuletts sollen grenzenlos sein. Gott allein weiß, dass Jeanne es in blutigen Schlachten trug, die sie eigentlich nicht hätte überleben können, und doch kehrte sie stets siegreich und unversehrt vom Schlachtfeld zurück.«
René stellte sich neben Cosimos Sessel und legte seine Hand auf die des Älteren, um seinen Worten Nachdruck zu verleihen. »In diesem Amulett steckt ungeheure Macht, Cosimo. Sorge dafür,dass der Knabe es immer trägt. Es schützt besser als eine Rüstung. Eines Tages mag es ihm das Leben retten, so wie es auch die Jungfrau von Orléans hätte retten sollen.«
Cosimo drehte sich zur Lampe auf seinem Schreibpult um und nahm das Amulett genauer in Augenschein.
Es war oval, geformt wie ein Medaillon, aber der Deckel stand ein wenig über, wie der Deckel einer winzigen Schachtel. In dem Deckel befand sich ein rotes Wachssiegel, das zum Schutz und zur Kenntlichmachung religiöser Artefakte benutzt wurde. Das Siegel war so alt und abgeschabt, dass man das Bild darauf nicht mehr recht erkennen konnte, doch es schien ein Kreismuster aus winzigen Sternen zu sein. Obwohl kleiner als Cosimos Daumennagel, war das Gehäuse des Reliquiars gut erhalten. In den Silberdeckel war eine winzige Kreuzigungsszene eingraviert. Am Fuß des Kreuzes kniete eine langhaarige Maria Magdalena und umschlang die Füße ihres sterbenden Liebsten. Seltsamerweise war das einzige andere Bildelement ein sorgfältig herausgearbeiteter Säulentempel auf einem Hügel hinter dem Gekreuzigten. Der Tempel wirkte griechisch; er ähnelte der Akropolis, die zu Ehren weiblicher Weisheit und Stärke erbaut worden war.
Cosimo drehte den Behältnis, um die darin enthaltene Reliquie in Augenschein zu nehmen. Sie war so winzig, dass man sie für unsichtbar halten konnte. Auf die Mitte einer goldenen Blume war mit einer Art Gießharz ein
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