Das Magdalena-Vermächtnis: Roman
von sämtlichen Regeln machen.«
René schnappte nach Luft. »Lippi? Du hältst Fra Filippo Lippi in deinem Apfelkeller gefangen?«
Cosimo nickte unbekümmert. »Ja. Es hört sich doch nicht so an, als wäre er unglücklich?«
René schüttelte den Kopf, was sein Erstaunen aber nicht minderte. Die dröhnende Stimme aus dem Apfelkeller klang geradezu überschwänglich. Dass solche Laute von Filippo Lippi kommen sollten, dem eindrucksvollsten Künstler der Stadt, war in der Tat erstaunlich. Lippis Fresken galten als göttlich inspiriert, und sogar der König von Frankreich wollte den Künstler an seinen Hof holen. Aber Lippi wollte um keinen Preis der Welt Cosimo de’ Medici oder Florenz verlassen, weder für den König von Frankreich noch für sonst einen König, und mochte das Ablösegeld noch so hoch sein. Trotz aller Überspanntheiten bewahrte Fra Filippo Lippi seinem Mäzen, der ihn vor allen Gefahren beschützte, unverbrüchliche Treue.
Lippis Kunst war überwältigend. Er besaß die Fähigkeit, das Göttliche einzufangen, das unmittelbar zu ihm sprach, wie es hieß. Er zählte zu Cosimos sogenannter »Armee der Engel«, einer ausgewählten Gruppe genialer Künstler, deren besondere Gabe es war, göttliche Eingebungen und Lehren auf Leinwand und in Marmor zu bannen. Im Orden hießen sie »die Himmlischen«. Die Ankunft dieser Evangelisten eines neuen Zeitalters war ebenfalls von den Magi geweissagt worden. Cosimo liebte es, begabte Künstler zu suchen und zu fördern, und mit der Entdeckung Lippis und eines weiteren begnadeten Bildhauers, Donatello, hatte er außergewöhnlichen Spürsinn bewiesen. Seine Künstler waren Genies, göttlich inspiriert, weshalb sie sich von irdischen Autoritäten kaum beeindrucken ließen. Doch ihre himmlischen Eigenschaften brachten es mit sich, dass sie aufErden ein nicht gerade harmonisches Leben führten. Lippi und Donatello waren notorisch schwierig und launenhaft. Tatsächlich hatte kein florentinischer Mäzen außer Cosimo bei ihnen Erfolg gehabt. Allerdings wusste auch niemand außer Cosimo, wer und was diese Männer in Wirklichkeit waren.
Als Mitglied des Ordens vom Heiligen Grab wusste René d’ Anjou um die Bedeutung himmlischer Künstler und war entsprechend beeindruckt. Ihm selbst war es noch nicht vergönnt gewesen, solche Talente zu fördern. Deshalb wollte er mehr darüber erfahren.
»Lippi ist also einer der geweissagten Himmlischen?«
Cosimo nickte. »Ja. Und ich hoffe, ihn Disziplin lehren zu können, derer er dringend bedarf, damit er eines Tages seinerseits junge Künstler unterrichten kann, ohne sie dabei mit seinen schlechten Gewohnheiten anzustecken.«
Er fischte den Schlüssel zu dem schweren Eisenschloss aus der Tasche. »Diese kleine Einkerkerung ist zu seinem Besten, und das weiß er. Lippi muss vor sich selbst geschützt werden.«
Schon beim Eintreten stellte René fest, dass der Apfelkeller kein dumpfer Kerker war. Licht fiel von allen Seiten durch geschickt platzierte Oberlichter, und Lippi malte fröhlich drauflos, umgeben von allem, was er bei seinem Tagewerk möglicherweise brauchen konnte. Als die beiden Männer näher traten, grinste der Künstler und wandte sich an seinen Mäzen.
»Gut, dass Ihr gerade jetzt kommt, Cosimo. Seht her, was ich gemalt habe. Ich habe den Engeln ein paar Feinheiten gegeben. Seht Ihr, wie sorgfältig ich das Buch dorthin gelegt habe? Daraus werden die nie schlau.«
Cosimo stellte René vor, doch der Künstler war zu sehr auf sein Meisterwerk konzentriert, um zu würdigen, dass der Titularkönig von Jerusalem und Neapel in seine bescheidene Werkstatt gekommen war. Er fuhr fort, Cosimo mit Fragen zu bestürmen.
»Kann ich es wagen, den Einband rot zu malen, sodass es das wahre Libro Rosso ist? Was meint Ihr?«
»In diesem Stadium, Lippi, ist es mir gleich, ob du es lila mit rosa Streifen malst, solange du es nur rasch zu Ende bringst. Der Erzbischof fordert deinen Kopf, und ich kann dich nicht mehr lange vor seinem Zorn schützen.«
Cosimo wandte sich an René und erklärte: »Lippi ist mit seinen Aufträgen ständig im Rückstand, weil er sich stets von Wein und Frauen ablenken lässt.«
»Nein, nein, nein!« Lippi hielt eine Hand hoch. »Nicht Frauen, Cosimo. Eine Frau. Es gibt nur die eine vollkommene Frau für mich, von Gott geschaffen als meine Seelengefährtin zu Anbeginn der Zeit. Aber es stimmt schon, sie lenkt mich schrecklich ab …«
Cosimo setzte seine Erklärung fort, während Lippi sich in
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