Das Magdalena-Vermächtnis: Roman
Ratsherren. Er musste sich durchsetzen – für Florenz und seinen Enkel, der eines Tages seinen Platz einnehmen sollte – und hielt deshalb eine flammende Rede, an der nichts Gemäßigtes war.
»Wie könnt Ihr es wagen!«, donnerte der Medici-Patriarch, während seine Hand auf den schweren Tisch vor ihm krachte. »Wie kann auch nur einer von Euch es wagen, sich ein Urteil darüber anzumaßen, wen ein Mann lieben darf und wen nicht! Wie könnt Ihr es wagen, darüber zu urteilen, was einen Mann inspiriert, Kunstwerke zu erschaffen!«
Erschrockenes Schweigen lastete im Saal, als Cosimo seine Stimme senkte und auf einige der Anwesenden deutete. »Ihr, Poggio. Und Ihr, Francesco. Ihr habt beide in meinem Heim gespeist und den ›David‹ bewundert, der meinen Innenhof ziert. Was haltet ihr von der Skulptur?«
Der erste der Angesprochenen, Poggio Bracciolini, war ein Verbündeter, den Cosimo für diesen Tag in die Signoria eingeschleust hatte. Poggio war erklärter Humanist und Förderer der Künste und zufälligerweise auch ein hochrangiges Mitglied des Ordens. Er sagte genau das, was von ihm erwartet wurde. Später sollte Cosimo Lorenzo seine Strategie erläutern: Stelle niemals in der Öffentlichkeit eine Frage, bevor du nicht mit Sicherheit weißt, dass sie in deinem Sinne beantwortet wird.
»Diese Skulptur ist ein Meisterwerk. Nie habe ich etwas so Makelloses wie den ›David‹ gesehen, der für Euren Palazzo geschaffen wurde«, antwortete Bracciolini erwartungsgemäß.
Der zweite Angesprochene äußerte sich ähnlich, und mehrere Ratsherren nickten beifällig, denn trotz ihrer vielen Fehler waren die Florentiner glühende Verehrer der schönen Künste. Cosimo nutzte den günstigen Moment und fuhr fort.
»Ja, der ›David‹ könnte sogar das erhabenste Kunstwerk unserer Zeit sein. Seit Praxiteles hat es keine solch göttlich inspirierte Skulpturen mehr gegeben. Deshalb gilt für euch wie für mich: Wer sind wir, dass wir eines Mannes Inspiration infrage stellen dürfen? Wenn Donatello die erhabensten Kunstwerke erschaffen kann, weil er von Liebe inspiriert wird, dann ist diese Liebe ein Geschenk Gottes, und keiner von uns darf darüber richten. Wen ein Künstler sich zur Muse erwählt, ist ganz allein seine Angelegenheit. Und es steht uns nicht zu, darüber zu richten, denn Liebe ist ein Gottesgeschenk, ein Sakrament. Dazu stehe ich, und ich danke Gott jeden Tag, dass es Menschen gibt, die vermittels der Kraft ihrer Liebe solch göttliche Kunst erschaffen können!«
Schweigen folgte auf Cosimos Rede, denn welcher Mann hätte es mit seiner Beredsamkeit aufnehmen können?
Donatello wurde begnadigt, und Lorenzo hatte eine der wichtigsten Lektionen seines Lebens gelernt – und eine Weisheit, die ihm für den Rest seines Lebens in den Ohren klingen sollte:
Liebe ist ein Sakrament und ein Geschenk Gottes, über das der Mensch nicht richten darf.
Lorenzo begleitete seinen Großvater zu Donatellos Atelier, wo dieser dem Künstler den Entschluss des Rates mitteilen wollte. Doch die Tür zur Werkstatt wurde ihnen nicht von dem temperamentvollen Meister, sondern von einem ruhigen und freundlichen Mann geöffnet, den Lorenzo schon einige Male gesehen und ins Herz geschlossen hatte. Es war Andrea del Verrocchio, ein Meisterbildhauer und Lehrer, der eine Schlüsselrolle im Orden spielte. Zudem war er ein Künstler, dem Cosimo nahezu blind vertraute. Verrocchio war einst Lehrling von Donatello gewesen – einer der wenigen, die den Malstrom überlebt hatten.
»Andrea, was für eine wunderbare Überraschung!« Cosimo umarmte den sanften Riesen. »Welche Art Marter willst du dir zufügen, indem du zu deinem früheren Lehrer zurückkehrst? Willst du etwa wieder beschimpft werden?«
»Das habe ich gehört!«, drang Donatellos Stimme aus dem angrenzenden Raum.
»Solltest du auch!«, rief Cosimo. »Und lass uns wissen, wann wir mit der Ehre deiner Anwesenheit rechnen dürfen. Ich habe einen neuen Auftrag für dich, kann ihn aber auch Andrea geben, wenn dir das lieber ist.«
Von nebenan waren leises Murren und schlurfende Schritte zu vernehmen. So launisch Donatello auch war, er betete Cosimo an und hätte ihn niemals warten lassen.
Verrocchio wandte sich ab, um einen jungen Mann herbeizurufen, einen Halbwüchsigen, der in einer Ecke der Werkstatt stand und Pigmente für die Farben zermahlte. Der junge Mann war ausgesprochen schön: Mit seinen üppigen goldenen Locken und den tief liegenden, bernsteinfarbenen Augen
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