Das magische Land 2 - Das Amulett der Schlange
verehrte Comtesse«, sagte er.
Ihr war nicht klar, warum sie ihn darum gebeten hatte. Die Luft machte sie schwindelig; sie war schwer von Wein und Moschus und verschiedenen Parfüms. Beinahe hatte sie das Gefühl, als seien dies tatsächlich Wildvolkwesen und sie sei irgendwie durch die Schleier der Welt gefallen und in ihr gespenstisches Land geraten.
Es musste ein Zauber über diesem Ort Hegen. Sie schaute sich nach dem König um, konnte ihn jedoch nicht finden. Entweder hatte er es vorgezogen, der Feier nicht beizuwohnen, oder er beobachtete das Ganze von einer verborgenen Galerie aus. Sie hätte auf das Letztere gewettet.
Das Netz in ihrem Inneren bekam den Zauber zu fassen und ertränkte ihn in silbrigem Glanz. Vor Staunen über dieses Wunder hielt sie inne. Sie wäre fast gestolpert, konnte sich allerdings gerade noch fangen, bevor sie aus der Reihe der Tanzenden fiel.
Mit warmer, fester Hand führte Prinz Esteban sie durch die Schrittfolgen. Sie konnte seine Magie jetzt deutlicher erkennen, entweder weil ihre eigene viel stärker geworden war oder weil er beschlossen hatte, mehr davon preiszugeben.
Seine Magie hatte eine feine Klarheit und eine geordnete Struktur, aber etwas daran war sonderbar. Nicht wie bei Averil, deren Magie wilde und verbotene Magie in sich barg, und es war auch nicht die übliche Art streng kontrollierter Magierkunst. Seine Magie war freier, dachte sie; sie ging ihren eigenen Weg, auf Pfaden, die sie nie zuvor gesehen hatte.
Erneut fing sie sich, bevor sie dem Zauber verfiel. Sie musste schauen und lernen und durfte kein Teil davon werden. Das war der Grund ihres Hierseins. Zum Mindesten konnte sie einen ganzen Tag standhalten, bevor sie sich geschlagen gab.
Der Tanz war unerwartet kompliziert. Nach und nach wurde die Musik schneller, bis ihr Geist ihr nicht mehr folgen konnte und ihr Körper sich instinktiv und aus einer tief verwurzelten Erinnerung heraus bewegte. Als die Musik sich zu einem infernalischen Crescendo steigerte und abrupt endete, kam Averil wieder zu sich. Ihre Wangen waren gerötet, sie war erhitzt, und ihr Atem ging keuchend.
Prinz Esteban wirkte so kühl und ruhig wie immer, nur seine Augen glitzerten. Einen Moment lang war sie sich ihrer verschwitzten Körperlichkeit peinlich bewusst, ehe er ihre Hand unter seinen Arm schob und sagte: »Kommt. Es gibt noch Besseres zu sehen als das hier.«
Argwohn lief ihr wie ein kalter Hauch über den Rücken. Sie widerstand dem Drang, sich umzudrehen und davonzulaufen.
Sie war gekommen, um herauszufinden, was der König tat. Es hatte etwas mit dem hier zu tun: Es roch förmlich nach ihm. Dies bedeutete, dass sie, wenn sie diesem Mann folgte, mit großer Wahrscheinlichkeit in eine Falle lief; aber wenn sie es nicht tat, vertat sie womöglich ihre Chance, hinter das Geheimnis des Königs zu kommen.
Sie war so gut geschützt, wie es eine Magierin sein konnte. Sie hatte ihre Schutzzauber und ihre Magie und das Amulett, das sie auf seine Weise mit Gereint verband und warm und vertraut zwischen ihren Brüsten ruhte. Sie war bereit für diesen Krieg - in welcher Form er auch kommen würde.
Prinz Esteban führte sie sanft und zügig durch die Halle bis zu einem Wandelgang, der eine Reihe von Türen verbarg. Ohne Zögern steuerte er eine von ihnen an, was auf lange Gewohnheit schließen ließ. Sie hatte weder Schloss noch Riegel, sondern wurde durch Magie verschlossen, die an ihren Rändern schimmerte.
Bei der Berührung seiner Hand flackerten die Schutzzauber kurz auf und verblassten. Die Tür öffnete sich und gab den Blick frei auf einen in Mondund Sternenlicht getauchten, süßlich duftenden Garten.
Draußen in der Welt hatte der Herbst begonnen; es war Erntezeit, und die ersten Nachtfröste kündigten sich bereits an. Aber in diesem Garten herrschte noch Hochsommer. Selbst in der Nacht war es drückend warm. Die feuchte, schwere Luft bildete Tautropfen auf Blumen, die üppiger blühten und süßer dufteten als alle Blumen, die Averil je gesehen hatte.
Dies war ein Paradiesgarten, aber es war ein Paradies, wie es einem in Fieberträumen erscheint. Seine Pfade bestanden aus Mondlicht und Nebel, wanden sich unter Ästen dahin, die schwer waren von Blüten und seltsamen, schimmernden Früchten. Nirgendwo gab es eine gerade Linie, keinen direkten Weg; verschlungene Windungen führten nach einer Weile zu einem mondbeschienenen Rasenstück.
Die Tänzer dort hatten wenig Sinn für Mode oder für Kleidung überhaupt. Ihre
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