Das magische Land 2 - Das Amulett der Schlange
und zugleich eine schreckliche in jeder Beziehung. Ihr tut gut daran, Euren Entschluss nicht zu übereilen.«
»Ich werde nicht lange brauchen«, sagte sie, »dennoch muss ich alles überdenken, was ich gehört und gesehen habe. Ihr verlangt von mir, mich gegen alles zu wenden, was ich jemals war und etwas zu werden, was ich mir niemals hätte träumen lassen. Ich wurde nicht aufgezogen, um Königin zu werden.«
»Ein Grund mehr zu glauben, dass Ihr in bewundernswerter Weise dazu geeignet seid«, sagte Esteban.
Averil hatte beträchtliche Zweifel daran, aber sie unterließ es, sie auszusprechen. Sie nahm die Verbeugungen huldvoll zur Kenntnis und blieb auf ihrem Platz, als sie sich zurückzogen. Esteban wäre vielleicht geblieben, doch sie ermutigte ihn nicht dazu. Er ging als Letzter, wobei er sich mehrfach nach ihr schaute.
Der Abzug der Verbündeten war keineswegs eine Erleichterung für Averil. Sie zogen sich nur bis zur Halle zurück, wo sie auf er Lauer lagen und mehr oder weniger geduldig auf ihre Entscheidung warteten.
Wenn sie gehofft hatte, sie ein paar Tage oder Wochen hinzuhalten, war diese Hoffnung schnell verflogen. Ein, zwei Tage mochte sie vielleicht herausschinden, an Wochen oder Monate war allerdings nicht zu denken. Sie würde nicht mehr unversehrt entkommen können, wenn sie sich weigerte, nicht nach allem, was sie gesehen und gehört hatte. Bestenfalls würde man sie ergreifen und unter Androhung von Gewalt verheiraten: Wenn Esteban dazu nicht im Stande wäre, würde sich gewiss ein anderer finden. Schlimmstenfalls würde sie einen tragischen, bedauerlichen Unfall erleiden, und eine andere Frau der königlichen Familie würde ihren Platz einnehmen.
Sie erhob sich und ging im Salon auf und ab. Guter Gott, gab es denn nicht irgendjemanden, der nicht einen Teil von ihr wollte? Die Ritter, die Priesterinnen, das Wildvolk, die Mutter, der König, die höfischen Damen aus Lutece und jetzt noch diese Männer hier — sie alle wollten einen Nutzen aus ihr ziehen. Sie war ein Pfand in einem gewaltigen Spiel; Reichtum, Rang und Macht halfen ihr nicht. Sie war so hilflos wie eine Maus in der Falle. Plötzlich blieb sie abrupt stehen. Fast alles stimmte, aber war sie wirklich hilflos? Nicht, wenn sie es nicht wollte.
Kein Sterblicher ahnte, was sie alles war — außer Gereint. Ganz wenige wussten, was er war oder wessen er fähig war, entweder allein oder durch die Verbindung, die sie miteinander hatten.
Er war der einzige Mann auf der Welt, den sie wollte, und ihn konnte sie nicht haben. Wenn sie diesen Handel einging, konnte sich das ändern. Sie könnten sein, wozu sie bestimmt waren.
Aber der Preis …
Die Insel und all ihre Macht und Leben und Seelen der Priesterinnen für einen Mann, der sie vielleicht nicht mehr wollen würde, nachdem sie zur Verräterin geworden war. Und als solche würde er sie bezeichnen. Und das wäre sie auch. Wenn sie ihn überzeugen könnte, ihn verändern …
Könnte sie das? Würde er es zulassen?
Sie Heß sich auf den nächstbesten Stuhl fallen und legte den Kopf in die Hände. Ob sie diese Entscheidung jetzt traf oder nach zwei Wochen, sie würde nicht einfacher werden.
Wenn sie Gereint an dieser Verschwörung beteiligen könnte, würde sie es tun? Wollte sie das, was diese Männer ihr anboten? Wenn sie die Insel retten könnte und trotzdem alles andere bekäme, würde sie es tun?
Ihr Körper schmerzte vor Verlangen nach der Freiheit, selbst wählen zu können, was sie sein, wohin sie gehen, wen sie lieben würde. Ihr Geist führte ihr hartnäckig Zweifel vor Augen.
Zu ihrer Überraschung meldete auch ihr Herz Bedenken an. Diese adligen Herren und Magier hatten ihr nicht alles erzählt, was sie wussten. Sie hatten es nicht geschafft, eine plausible Erklärung für das zu finden, was die Schlange während ihrer Herrschaft getan hatte. Wenn sie den Sterblichen die Freiheit gab, nach ihrem eigenen Willen zu handeln, was sollte die Starken und Gewalttätigen daran hindern, die Schwächeren zu unterjochen? Und genau das würden sie tun. Seit Anbeginn der Welt war es niemals anders gewesen.
Sie suchte keinen Rat in ihrer Magie. Diese Entscheidung musste sie allein fällen.
Sie sollte darüber schlafen. Oder sie sollte tun, was die Menschen im Osten taten: es zuerst betrunken und dann nüchtern überdenken. Genug Wein war vorhanden, doch als sie nach ihrem Becher griff, sträubte sich ihr Magen. So konnte sie nicht leben. Sie schickte eine Botschaft in die Halle,
Weitere Kostenlose Bücher