Das Magische Messer
das Fenster, das ich gefunden habe?«
»Keine Ahnung. Vielleicht verschmelzen die Welten jetzt ja allmählich.«
»Und warum suchst du nach Staub?«
Sie musterte ihn kühl. »Das sage ich dir vielleicht später einmal.«
»Gut. Aber wie willst du danach suchen?«
»Ich suche einen Wissenschaftler, der sich damit auskennt.« »Was, irgendeinen Wissenschaftler?«
»Nein, einen Experimentaltheologen. In dem Oxford, aus dem ich komme, kannten sich die Experimentaltheologen damit aus. Das ist in deinem Oxford sicher genauso. Ich gehe zuerst zum Jordan College, weil es dort die besten gab.«
»Von Experimentaltheologen habe ich noch nie gehört«, sagte Will.
»Sie wissen alles über Elementarteilchen und grundlegende Kräfte«, erklärte Lyra. »Über Anbaromagnetismus und so was. Atomkraft.«
»Was für ein Magnetismus?«
»Anbaromagnetismus. Wie anbarisch. Das Licht da«, sie zeigte zu der geschwungenen Straßenlaterne hinauf, »das ist anbarisch.«
»Wir sagen dazu elektrisch.«
»Elektrisch … klingt wie Elektrum. Das ist eine Art Stein, ein Edelstein aus Harz von Bäumen. Manchmal sind im Innern Insekten eingeschlossen.«
»Du meinst Bernstein«, sagte er. Sie sahen einander an.
»Also Elektromagnetismus«, sagte er schließlich und sah weg. »Was bei uns Physik ist, scheint bei euch Experimentaltheologie zu sein. Du suchst ja Wissenschaftler, keine Theo logen.«
»Was auch immer«, sagte sie misstrauisch, »ich finde welche.«
Es war ein stiller, klarer Morgen und die Sonne glitzerte friedlich auf dem Wasser im Hafen. Sowohl Lyra als auch Will brannten eine Menge Fragen auf der Zunge, und sicher hätte einer von ihnen gleich wieder etwas gesagt, doch da hörten sie aus einiger Entfernung im Hafen, in Richtung der Kasinogärten, eine Stimme.
Beide sahen erschrocken hin. Es war die Stimme eines Kin des gewesen, aber sie sahen niemanden.
»Seit wann bist du hier, sagst du?«, fragte Will leise.
»Seit drei oder vier Tagen, ich habe nicht mitgezählt, aber ich bin nie jemandem begegnet. Hier ist niemand. Ich habe fast überall nachgesehen.«
Doch Lyra irrte sich. Zwei Kinder, ein Mädchen so alt wie Lyra und ein kleiner Junge, kamen aus einer der Straßen, die zum Hafen hinunterführten. Sie trugen Körbe und hatten beide rote Haare. Als sie noch etwa hundert Meter weg waren, entdeckten sie Will und Lyra an dem Tisch des Cafes.
Pantalaimon verwandelte sich von einem Stieglitz in eine Maus und rannte Lyras Arm zu ihrer Hemdentasche hinauf. Er hatte gesehen, dass die neuen Kinder wie Will waren: Sie hatten keinen Dæmon.
Die beiden Kinder kamen heran und setzten sich an den Nachbartisch.«
»Auch aus Ci’gazze?«, fragte das Mädchen.
Will schüttelte den Kopf.
»Aus Sant’Elia?«
»Nein«, sagte Lyra. »Wir sind von woanders.«
Das Mädchen nickte. Die Antwort schien ihr zu reichen.
»Was ist hier los?«, fragte Will. »Wo sind die Erwachsenen?«
Die Augen des Mädchens wurden schmal. »Sind in eurer Stadt keine Gespenster?«
»Nein«, sagte Will. »Wir sind eben erst angekommen. Von Gespenstern wissen wir nichts. Wie heißt diese Stadt?«
»Ci’gazze«, sagte das Mädchen misstrauisch. »Oder gut, Cittàgazze.«
»Cittàgazze«, wiederholte Lyra. »Ci’gazze. Warum mussten die Erwachsenen weg?«
»Wegen der Gespenster«, sagte das Mädchen etwas ungeduldig. »Wie heißt ihr?«
»Lyra. Und das ist Will. Und ihr?«
»Angelica und mein Bruder Paolo.«
»Wo kommt ihr her?«
»Aus den Bergen. Wir hatten dichten Nebel und Sturm, und alle hatten Angst, also rannten wir in die Berge. Als sich der Nebel dann lichtete, sahen die Erwachsenen mit Fernrohren, dass die Stadt voller Gespenster war und sie nicht zurück kehren konnten. Aber wir Kinder haben keine Angst vor Gespenstern. Es kommen noch mehr Kinder. Sie kommen bald, aber wir sind die ersten.«
»Wir und Tullio«, sagte der kleine Paolo stolz.
»Wer ist Tullio?«
Angelica sah Paolo böse an; er hätte nicht von ihm sprechen dürfen, aber jetzt war das Geheimnis heraus.
»Unser großer Bruder«, sagte sie. »Er ist nicht hier. Er versteckt sich, bis er … Na, er versteckt sich eben.«
»Er will –«, begann Paolo, aber Angelica schlug ihm hart auf die Wange, und er machte den Mund sofort wieder zu und presste seine zitternden Lippen zusammen.
»Was hast du von der Stadt gesagt?«, fragte Will. »Sie sei voller Gespenster?«
»Stimmt. Ci’gazze, Sant’Elia, alle Städte, die Gespenster gehen dorthin, wo viele Leute
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