Das Magische Messer
einundzwanzig Begleiterinnen und Königin Ruta Skadi von Lettland an, in die neue Welt zu fliegen, die keine Hexe je betreten hatte.
Eine Welt der Kinder
Lyra wachte früh auf.
Sie hatte einen schrecklichen Traum gehabt: Man hatte ihr den Vakuumbehälter gegeben, den ihr Vater, Lord Asriel, damals vor ihren Augen dem Rektor und den Wissenschaft lern von Jordan College gezeigt hatte. Damals, als sich das in Wirklichkeit ereignet hatte, hatte Lyra aus ihrem Versteck im Schrank beobachtet, wie Lord Asriel den Behälter geöffnet und den Wissenschaftlern den abgeschnittenen Kopf des verschollenen Forschungsreisenden Stanislaus Grumman gezeigt hatte; in ihrem Traum dagegen musste sie den Behälter selbst öffnen, obwohl sie nicht wollte. Im Gegenteil, sie hatte sogar schreckliche Angst davor. Doch sie musste es tun, ob sie wollte oder nicht, und sie spürte, wie ihre Hände vor Angst ganz schwach wurden, als sie den Deckel losschnallte und die Luft zischend in den tiefgekühlten Behälter strömen hörte. Als sie den Deckel anhob, würgte es sie vor Angst, aber sie wusste, dass sie es tun musste. Und dann war nichts drin. Der Kopf war verschwunden. Da war nichts, wovor sie sich hätte fürchten müssen.
Trotzdem wachte sie schreiend und schweißgebadet in dem kleinen, stickigen Schlafzimmer auf, das zum Hafen hinausging; das Mondlicht strömte durch das Fenster, und sie lag in einem fremden Bett, die Arme um ein fremdes Kissen geschlungen, und Pantalaimon schmiegte sich in Gestalt eines Hermelins an sie und machte beruhigende Laute. Was hatte sie für eine Angst gehabt! Und wie merkwürdig war es doch, dass sie im wirklichen Leben den Kopf von Stanislaus Grumman unbedingt hatte sehen wollen und Lord Asriel bekniet hatte, den Behälter noch einmal zu öffnen und sie hineinsehen zu lassen.
Als der Morgen graute, befragte sie das Alethiometer, was der Traum zu bedeuten habe, doch kam als Antwort nur: Es war ein Traum von einem Kopf.
Sie überlegte, ob sie den fremden Jungen wecken sollte, doch schlief er so tief, dass sie sich dagegen entschied. Statt dessen stieg sie zur Küche hinunter und versuchte ein Omelette zu machen. Zwanzig Minuten später saß sie draußen an einem Tisch am Gehweg und aß voller Stolz ein schwarzes, knirschendes Etwas, während Pantalaimon in Gestalt eines Spatzen an den Schalenresten pickte.
Sie hörte hinter sich ein Geräusch, und dann stand Will neben ihr, die Augen noch schwer vom Schlaf.
»Ich kann auch Omelettes machen«, sagte Lyra. »Wenn du willst, mache ich dir eins.«
Er sah auf ihren Teller und sagte: »Nein danke, ich esse Cornflakes. Im Kühlschrank steht Milch, die noch frisch ist. Die Leute, die hier gewohnt haben, können noch nicht lange weg sein.«
Sie beobachte, wie er drinnen Cornflakes in eine Schüssel schüttete und Milch darüber goss. Auch das hatte sie noch nie gesehen.
Er trug die Schüssel nach draußen und sagte: »Wenn du nicht aus dieser Welt bist, wo ist dann deine Welt? Wie bist du hergekommen?«
»Über ein Brücke. Mein Vater hat eine Brücke gemacht, und … ich bin ihm gefolgt. Aber er ist woanders hingegangen, ich weiß nicht wohin. Ist mir auch egal. Aber als ich rüber ging, war es sehr nebelig, und ich muss mich verirrt haben. Ich ging tagelang durch den Nebel und aß nur Beeren und Zeug, das ich fand. Dann lichtete sich eines Tages der Nebel und wir befanden uns auf diesen Klippen dort –«
Sie zeigte hinter sich. Will sah am Strand entlang. Hinter dem Leuchtturm stieg die Küste in einer Reihe großer Felsen an, die in der Ferne im Dunst verschwanden.
»Wir sahen die Stadt hier unten und kamen runter, aber dann war hier niemand. Aber wenigstens gab es etwas zu essen und Betten zum Schlafen. Wir wussten nicht, was wir tun sollten.«
»Bist du sicher, dass das hier nicht nur ein anderer Teil von deiner Welt ist?«
»Natürlich. Das hier ist nicht meine Welt, das weiß ich bestimmt.«
Will fiel ein, dass auch er, als er durch das Fenster in der Luft das Gras gesehen hatte, absolut sicher gewesen war, dass es nicht zu seiner Welt gehörte. Er nickte.
»Dann gibt es mindestens drei Welten, die miteinander zusammenhängen«, sagte er.
»Es gibt Millionen und Abermillionen davon«, sagte Lyra. »Das hat mir ein anderer Dæmon gesagt, der Dæmon einer Hexe. Keiner kann zählen, wie viele Welten es am selben Ort gibt, aber auch keiner konnte von einer in die andere gelangen, bevor mein Vater diese Brücke gemacht hatte.«
»Und
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