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Das Magische Messer

Das Magische Messer

Titel: Das Magische Messer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Pullman
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dem Augenwinkel sah Will noch, wie er nach dem Telefonhörer langte, dann verließ er rasch das Gebäude.
     
     
    Draußen merkte er, dass er zitterte. Der sogenannte Journalist war einer der Männer, denen er bei sich zu Hause begegnet war: ein hoch gewachsener Mann mit so hellblonden Haaren, dass er weder Augenbrauen noch Wimpern zu haben schien. Er war nicht der, den Will die Treppe hinuntergestoßen hatte, sondern der, der in der Wohnzimmertür aufgetaucht war, als Will die Treppe hinuntergerannt und über die Leiche gesprungen war.
    Und er war kein Journalist.
    In der Nähe befand sich ein großes Museum. Will ging hinein, in der Hand das Klemmbrett, als arbeite er, und setzte sich in einen Saal, in dem lauter Gemälde hingen. Er zitterte jetzt heftig, und ihm war übel, denn das Bewusstsein, dass er jemanden umgebracht hatte, dass er ein Mörder war, lag wie ein Alpdruck auf ihm. Bisher hatte er das verdrängt, aber jetzt holte es ihn allmählich ein. Er hatte einem Menschen das Leben genommen.
    Eine halbe Stunde saß er da und rührte sich nicht, und es war die schlimmste halbe Stunde seines Lebens. Menschen kamen und gingen, sahen sich die Gemälde an und unterhielten sich leise, ohne ihn zu beachten. An der Tür stand für ein paar Minuten ein Museumsaufseher mit auf dem Rücken gefalteten Händen, dann entfernte er sich langsam. Will blieb bewegungslos sitzen, überwältigt vom Grauen über seine Tat.
    Ganz allmählich beruhigte er sich. Schließlich hatte er seine Mutter verteidigt. Die Männer hatten ihr Angst gemacht, sie schikaniert, und bedrängt, und das trotz des Zustands, in dem sie sich befand. Er hatte das Recht, sein zu Hause zu verteidigen. Sein Vater hätte gewollt, dass er das tat. Er hatte es getan, weil es richtig war, und weil er verhindern wollte, dass die Männer die grüne Ledermappe stahlen. Er hatte es getan, um seinen Vater zu finden, und war nicht auch das sein gutes Recht? Die Spiele, die er als Kind gespielt hatte, fielen ihm ein, in denen sein Vater und er sich in seiner Vorstellung gegenseitig vor Lawinen oder angreifenden Piraten gerettet hatten. Jetzt war daraus Wirklichkeit geworden. »Ich werde dich finden«, sagte er in Gedanken. »Hilf mir, und ich finde dich, und dann kümmern wir uns um Mama, und alles wird wieder gut …«
    Und schließlich hatte er ja jetzt ein Versteck, das so sicher war, dass niemand ihn finden würde. Und auch die Papiere in der Mappe, die er noch immer nicht hatte lesen können, waren in Sicherheit, unter der Matratze in Cittàgazze.
    Nach einer Weile bemerkte er, dass die Besucher anfingen, alle in dieselbe Richtung zu gehen. Sie gingen zum Ausgang, weil der Aufseher ihnen sagte, dass das Museum in zehn Mi  nuten schließen würde. Auch Will stand auf und ging. Er marschierte zur High Street, in der die Kanzlei des Anwalts lag, und überlegte, ob er ihn aufsuchen sollte, obwohl er gesagt hatte, er würde nicht kommen. Der Mann hatte so freundlich geklungen …
    Gerade wollte er die Straße überqueren und hineingehen, als er wie angewurzelt stehen blieb.
    Der hoch gewachsene Mann mit den hellen Augenbrauen stieg aus einem Auto.
    Will drehte sich sofort um und starrte in das Fenster eines Juweliergeschäfts hinter ihm. Im Spiegel der Scheibe sah er, wie der Mann sich umblickte, den Knoten seiner Krawatte zurechtrückte und dann in die Kanzlei ging. Sobald er verschwunden war, entfernte Will sich mit heftig schlagendem Herzen. Er war nirgends sicher. Er machte sich auf den Weg zur Universitätsbibliothek, um dort auf Lyra zu warten.

Luftpostbriefe
     
     

    »Will«, sagte Lyras Stimme.
    Obwohl sie es leise sagte, fuhr er hoch. Lyra saß auf der Bank neben ihm, und er hatte es nicht bemerkt.
    »Woher kommst du denn?«
    »Ich habe meinen Wissenschaftler gefunden. Sie heißt Dr. Malone, und sie hat ein Gerät, das Staub sehen kann, und will dafür sorgen, dass es redet …«
    »Ich habe dich gar nicht kommen sehen.«
    »Du hast nicht geschaut«, sagte sie. »Du warst in Gedanken anderswo. Gut, dass ich dich gefunden habe. Es ist wirklich so leicht, die Leute an der Nase herumzuführen. Pass auf…«
    Zwei Polizisten kamen auf sie zu geschlendert, ein Mann und eine Frau auf Streife, beide in weißen Hemden und mit Funkgeräten und Gummiknüppeln und wachsamen Blicken.
    Kurz bevor sie die Bank erreichten, sprang Lyra auf. »Können sie mir bitte sagen, wo das Museum ist?«, fragte sie. »Mein Bruder und ich sollten dort unsere Eltern treffen, und

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