Das Magische Messer
jetzt haben wir uns verirrt.«
Der Polizist sah Will an, und Will schluckte seinen Ärger hinunter und zuckte die Schultern, wie um zu sagen, sie hat Recht, wir haben uns verirrt, ist das nicht zu dumm? Der Mann lächelte und die Frau sagte: »Welches Museum denn? Das Ashmolean?«
»Ja, das«, sagte Lyra, und als die Frau ihr den Weg beschrieb, tat sie so, als höre sie aufmerksam zu.
Will stand auf und bedankte sich, dann ging er mit Lyra. Sie sahen sich nicht um, aber die Polizisten interessierten sich auch gar nicht mehr für sie.
»Siehst du?«, sagte Lyra. »Wenn sie dich gesucht haben, dann habe ich sie jetzt abgelenkt. Weil sie nicht nach jemand mit einer Schwester suchen.« Und sobald sie um die Ecke waren, fuhr sie vorwurfsvoll fort: »Von jetzt an bleibe ich besser bei dir. Allein bist du nicht sicher.«
Er sagte nichts, aber sein Herz schlug wütend. Sie gingen weiter, bis sie zu einem runden Gebäude mit einer großen, bleigedeckten Kuppel auf einem kleinen Platz kamen. Um den Platz standen aus honigfarbenem Stein erbaute Collegegebäude und eine Kirche, und ausladende Bäume streckten ihre Aste über hohe Gartenmauern. Die Nachmittagssonne tauchte alles in warmes Licht, und auch die Luft war damit getränkt und schien selbst die Farbe schweren goldenen Weines angenommen zu haben. Bewegungslos hingen die Blätter an den Bäumen und sogar der Verkehrslärm war verstummt.
Lyra merkte schließlich, wie es in Will rumorte, und fragte: »Was ist los?«
»Wenn du Leute ansprichst, machst du sie nur auf uns aufmerksam«, sprudelte es wütend aus ihm heraus. »Halte doch einfach den Mund, dann übersehen sie dich. Das habe ich mein ganzes Leben lang getan. Ich weiß, wie es geht, aber du, du – du sorgst dafür, dass du überall auffällst. Das darfst du nicht, du darfst damit nicht spielen. Aber du nimmst das alles doch gar nicht ernst.«
»So, findest du?«, sagte sie, nun ihrerseits wütend. »Du glaubst, ich weiß nicht, wie man lügt, ja? Ich bin die beste Lügnerin, die es je gegeben hat. Aber dich lüge ich nicht an, und das werde ich auch nie tun, das schwöre ich. Du bist in Gefahr, und wenn ich das eben nicht getan hätte, hätten sie dich erwischt. Hast du nicht bemerkt, wie sie dich angesehen haben? Denn das haben sie. Du bist nicht vorsichtig genug.
Wenn du mich fragst, dann nimmst du das alles nicht ernst.«
»Wenn das stimmt, warum warte ich dann hier auf dich, wenn ich doch schon weit weg sein könnte? Oder mich in der anderen Stadt verstecken könnte, wo ich sicher bin und mich keiner sieht? Ich habe selbst Dinge zu tun, aber ich trödle hier herum, um dir zu helfen. Also erzähl mir nicht, dass ich das nicht ernst nehme.«
»Aber du musstest doch herkommen«, sagte sie heftig. Niemand durfte so mit ihr reden, schließlich war sie von adliger Abstammung, sie war Lyra. »Du musstest, weil du deinen Vater sonst nie findest. Du hast es für dich getan, nicht für mich.«
Sie stritten erbittert, aber leise, weil es auf dem Platz so still war und hin und wieder Passanten vorbeikamen. Doch als Lyra den letzten Satz sagte, blieb Will stehen und musste sich an die Wand neben sich lehnen. Alle Farbe war aus seinem Gesicht gewichen.
»Was weißt du über meinen Vater?«, sagte er ganz ruhig.
»Gar nichts«, erwiderte Lyra genauso ruhig. »Nur, dass du ihn suchst. Nur danach habe ich gefragt.«
»Wen hast du gefragt?«
»Das Alethiometer natürlich.«
Es brauchte eine Weile, bis ihm einfiel, was sie damit meinte, und dann sah er sie so zornig und misstrauisch an, dass Lyra das goldene Instrument aus ihrem Rucksack holte. »Also gut«, sagte sie, »ich zeige es dir.«
Sie setzte sich auf den Randstein, der um den Rasen in der Mitte des Platzes lief, beugte den Kopf über das Instrument und begann an den Zeigern zu drehen, so schnell, dass man ihren Fingern kaum folgen konnte. Sie machte eine kurze Pause, während der dünne Zeiger um das Zifferblatt zuckte und an verschiedenen Stellen für einen Moment stehen blieb, dann drehte sie die Zeiger genauso schnell auf neue Positionen. Will sah sich aufmerksam um, doch war niemand in ihrer Nähe, der hätte zusehen können. Eine Gruppe von Touristen sah an dem Gebäude mit der Kuppel hinauf, und ein Eisverkäufer schob seinen Karren über das Pflaster, aber niemand beachtete sie.
Lyra kam seufzend zu sich, als erwache sie aus einem tiefen Schlaf.
»Deine Mutter ist krank«, sagte sie leise, »aber sie ist in Sicherheit. Eine Frau kümmert
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