Das Magische Messer
Menge Blut auf das Dach und seine Schuhe ge spritzt. Der Mann mühte sich wieder hoch –
»Pass auf!«, schrie Lyra, aber Will war bereit.
In dem Augenblick, in dem der Mann wieder schwankend stand, warf er sich mit aller Macht auf ihn, den Kopf auf sein Zwerchfell gerichtet. Der Mann stürzte rückwärts in das Glas, das sofort zersplitterte. Auch der dünne Holzrahmen zerbrach. Der Mann hing in den Trümmern, zur Hälfte über der Treppe, und griff nach dem Türrahmen, doch war dieser nirgends mehr befestigt und gab nach. In einem Regen weiterer Glassplitter stürzte er hinunter.
Will eilte zu der Rinne zurück und hob das Messer auf. Der Kampf war vorbei. Der junge Mann wankte zerschnitten und zerschlagen noch einmal die Treppe hoch und starrte Will, der mit dem Messer über ihm stand, mit hilfloser Wut an, dann machte er kehrt und floh.
»Oh«, sagte Will und setzte sich, »oh.«
Etwas stimmte nicht, und er hatte es nicht bemerkt. Er ließ das Messer fallen und presste seine linke Hand an die Brust. Das Seil war blutgetränkt, und als er es löste –
»Deine Finger!«, keuchte Lyra. »Oh, Will –«
Sein kleiner Finger und der Ringfinger fielen zusammen mit dem Seil ab.
Ihm schwindelte. Blut spritzte aus den Stümpfen, wo seine Finger gewesen waren, und auch seine Jeans und Schuhe waren schon ganz durchweicht. Er musste sich hinlegen und die Augen für einen Moment schließen. Schmerzen hatte er kaum, wie er mit einem Teil seines Bewusstseins erstaunt registrierte; er spürte nur ein ständiges dumpfes Pochen, nicht den scharfen Schmerz, den man spürte, wenn man sich in die Haut geschnitten hatte.
Er hatte sich noch nie so schwach gefühlt. Wahrscheinlich hatte er sogar für einen Augenblick das Bewusstsein verloren. Lyra tat etwas mit seinem Arm. Als er sich aufsetzte, um sich die Wunde anzusehen, wurde ihm übel. Der alte Mann war auch in der Nähe, aber Will konnte nicht sehen, was er tat, und jetzt redete Lyra mit ihm.
»Wenn wir nur etwas Blutmoos hätten, wie die Bären es verwenden«, hörte er sie sagen, »dann könnte ich dir besser helfen, Will, ich könnte – schau her, ich wickle dir das Seil um den Arm, damit es aufhört zu bluten, ich kann es ja schlecht um deine Finger wickeln, die sind ja gar nicht mehr da – du darfst dich jetzt nicht bewegen –«
Er ließ sie gewähren und sah sich nach seinen Fingern um. Da lagen sie auf dem Dach, zusammengerollt wie ein blutiges Fragezeichen. Er lachte.
»Nicht«, sagte Lyra, »nicht lachen. Steh jetzt auf. Mr. Paradisi hat etwas für dich, eine Salbe, ich weiß nicht was. Komm mit nach unten. Der andere Mann ist weg – wir haben ihn aus der Tür rennen sehen. Jetzt ist er weg. Komm, Will – komm –«
Unter Drängen und gutem Zureden geleitete sie ihn die Treppe hinunter. Vorsichtig gingen sie durch Scherben und Holzsplitter in ein kleines, kühles Zimmer am hinteren Ende des Flurs. An den Wänden des Zimmers befanden sich Regale, auf denen Flaschen, Krüge, Töpfe, Mörser, Stößel und Apothekerwaagen standen. Unter dem dreckigen Fenster war ein steinernes Spülbecken, über dem der Alte mit zitternden Händen eine Flüssigkeit aus einer größeren Flasche in eine kleinere goss.
»Setz dich und trinke das«, sagte er und füllte ein kleines Glas mit der goldenen Flüssigkeit.
Will setzte sich und nahm das Glas. Der erste Schluck brannte in seinem Gaumen wie Feuer. Er hustete, und Lyra konnte gerade noch verhindern, dass das Glas hinunterfiel.
»Du musst es austrinken«, sagte der Alte.
»Was ist es?«
»Pflaumenschnaps. Trink.«
Vorsichtig geworden, nippte Will an dem Glas. Seine Hand schmerzte jetzt immer heftiger.
»Können Sie ihm helfen?«, fragte Lyra, ihre Stimme klang verzweifelt.
»O ja, wir haben Medikamente für alles. Mach die Schub lade im Tisch auf und bring mir eine Binde.«
Auf dem Tisch in der Mitte des Zimmers sah Will das Messer liegen, aber bevor er seine unverletzte Hand danach aus strecken konnte, humpelte der Alte mit einer Schüssel Wasser auf ihn zu.
»Trink noch einmal«, sagte er.
Will umklammerte das Glas und schloss die Augen, während der Alte sich an seiner Hand zu schaffen machte. Etwas brannte entsetzlich, dann spürte er den rauhen Stoff eines Handtuchs auf dem Handrücken und wie die Wunde vor sichtig gesäubert wurde. Er spürte etwas Kaltes, dann tat es wieder weh.
»Das ist eine sehr wertvolle Salbe«, sagte der Alte, »sehr schwierig zu bekommen und sehr gut für Wunden.«
In
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