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Das Matrazenhaus

Das Matrazenhaus

Titel: Das Matrazenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paulus Hochgatterer
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alles aus, Schisocken, Hose, Strumpfhose. »Eine Sekunde«, sagt er und verschwindet ins Badezimmer. Sie schaut aus dem Fenster und hat plötzlich das Bild geflügelter Glocken vor sich, die sich in Formation über den Himmel bewegen wie Zugvögel. Dann versucht sie sich zu erinnern, welche Mäntel ihre Mutter tatsächlich getragen hat. Einer aus grauem Wollstoff fällt ihr ein, grob gewebt mit großen schwarzen Knöpfen.
    Die emaillierte Waschschüssel, die er vor sich her trägt, ist weiß und hat einen feinen dunkelblauen Rand. Als er sie abstellt, schwappt Schaum auf den Holzboden. »Was hast du vor?«, fragt sie. Er lacht, hebt mit einer Hand ihre Unterschenkel hoch, schiebt mit der anderen die Schüssel an den Stuhl und senkt ihre Füße langsam ins warme Wasser. Er zieht einen Badeschwamm unter der Achsel hervor, tränkt ihn und presst ihn an ihren Waden aus. Früher habe er eine Frau gehabt, die nur in seinem Kopf existiert habe, sagt er, »und jetzt habe ich eine, der ich am Gründonnerstag die Füße wasche.« Sie schließt die Augen und stellt sich vor, wie zwei kleine geflügelte Glocken in dem Winkel zwischen Wand und Decke ein Nest bauen. »Warum lachst du?«, fragt er. »Weil du so pathetisch spinnen kannst«, sagt sie.
     

Achtzehn
    Es war weit nach Mitternacht, und Raffael Horn hatte Sehnsucht nach einer Insel, auf der er noch nie gewesen war. Er stellte sich die Küstenstraße vor, die Heidekrauthügel, die Bäche, die in den Basaltgrund schnitten, und direkt am Meer die Dörfer mit den weiß gekalkten Mauern der Destillerien: Port Ellen, Port Askaig, Bowmore.
    Er stellte sich endlose Schafherden vor, Regengüsse, Feuer im Kamin und wie er in einer Tweedjacke über der Brandung stand und auf den Atlantik hinausblickte. Männerkitsch, würde Irene sagen und Tobias irgendetwas von Eskapismus; das war seit neuestem sein Lieblingswort. Er selbst würde sich ein weiteres Glas Laphroaig eingießen und alles von sich abprallen lassen.
    Horn saß am Schreibtisch und ging den Bericht durch, den er aus den Protokollen seiner Gespräche mit den drei Kindern verfasst hatte. Zwei Buben mit familiärem Migrationshintergrund, der eine ein verträumter Drachenkämpfer, der andere erbkrank und in der Lage, alle Hauptstädte der Welt auswendig aufzusagen. Ein Mädchen, schüchtern, Meerschweinchenmutter, mit einem gewissen Zeichentalent. Alle drei unauffällig in ihrer Basisausstattung, normal intelligent, affektiv gut schwingend, adäquat im Kontakt, zurückhaltend und dennoch interessiert. Alle drei deutlich irritiert durch ein jeweils ähnliches Erlebnis, misstrauisch hinsichtlich der ereignisbezogenen Fragen, offensichtlich verängstigt durch etwas, das sie das Gleiche nannten, dessen Natur sie allerdings nicht preisgaben. Kein krankheitswertiges Störbild, insbesondere kein Hinweis auf posttraumatische Belastungsstörung. Er schloss das Dokument. Posttraumatische Störungen zeigten sich mitunter erst Monate oder gar Jahre nach dem Ereignis, insofern war es von höchst eingeschränktem Wert, was er da geschrieben hatte, aber das wusste nur jemand, der sich auskannte. Er stand auf, verließ das Büro und trat vors Haus. Es nieselte leicht. Am Morgen würde Nebel über dem Further Becken liegen. Üblicherweise strich in solchen Situationen die Katze um seine Knöchel. Momentan war sie bei Tobias, Tobias war bei Michael, immer noch, genauso wie der Volvo. Er war blöd genug gewesen, zu sagen, er brauche das Auto nicht. Söhne nützten so etwas aus.
    Im Stall brannte Licht. Irene saß in einem der Fauteuils und hörte Musik. Jemand sang Barockarien, eine Stimme, die in der Tiefe offen und rauh wurde. »Das ist aber kein Cello«, sagte er. Sie hatte die Augen geschlossen und schwieg. Er kam sich blöd vor.
    »Ein Countertenor?«, fragte er, »Kowalski? Scholl? Einer von den Engländern?« Sie schüttelte den Kopf und wies auf die CD-Hülle, die auf dem Verstärker lag. Ein schmales Gesicht, dunkles kurzes Haar, abstehende Ohren, ein Hauch von Skepsis im Gesicht. Marijana Mijanovic, las er. »Nie gehört.« »Aber sie müsste dir gefallen«, sagte sie. »Die Stimme?«, fragte er. »Die ganze Frau«, sagte sie, »die Ohren, der kritische Blick, natürlich die Stimme.« Sie hat recht, dachte Horn, klarerweise; wer sollte sonst wissen, was mir gefällt. Er fragte sie, warum sie das höre, und sie sagte, weil ihr die Frau auch gefalle, erstens, und weil sie, zweitens, singe, wie sie selbst gern Cello spielen würde,

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