Das Mauerblümchen erringen (German Edition)
aber ich kann immerhin eines aufsagen.“
„Sie kennen sich mit Lyrik aus?“
„Selbstverständlich.“ Es klang gekränkt. „Auch ich habe Gedichte auswendig gelernt, wenn auch nur unter Zwang. Und nur weil ich Byron für einen Esel halte, bedeutet das noch lange nicht, dass ich nichts von den Werken anderer Dichter weiß.“
„Auswendig? Können Sie mir nicht gleich ein Gedicht aufsagen?“
„Nein.“ Seine Stimme war flüssige Verführung. „Ich sage Gedichte nur im Bett auf.“
Ein Pfeil der Eifersucht durchbohrte Lucys Herz. „Ich will keine Verse hören, die Sie für andere Frauen aufgesagt haben.“
„Das war auch nie der Fall. Wenn ich damit beginne, dann wird es in unserem Bett sein.“ Er presste sie enger an sich, und seine Hand strich an ihrem Arm entlang. „Sie werden die Erste sein.“
Lucy schluckte. „Nun ... erinnern Sie sich noch, was ein Skandal ist? Denn genau der wird entstehen, wenn man uns hier zusammen sieht.“
„Ich will hier sein.“ Er streichelte ihr Haar. „Ich musste Sie heute Nacht sehen.“
Seine Stimme gab ihr das Gefühl, in Hitze zu zerfließen, als ob ihr Körper in Licht und Wärme simmerte. „Woher haben Sie überhaupt gewusst, dass ich im Garten bin?“
„Das wusste ich nicht. Das Schicksal hat mich geführt.“ Wieder umfing er sie enger. „Küssen Sie mich, Lucy.“
Sie schüttelte den Kopf und ignorierte den Stich des Begehrens, der sie durchfuhr. „Schicksal? Das ist doch Quatsch.“
„Sie hatten mir erzählt, dass Ihr Schlafzimmerfenster auf den Garten hinausgeht. Es war praktisch eine Einladung.“
Lucy erstarrte. „Sie hatten doch wohl nicht vor, in mein Schlafzimmer zu kommen?“
„Doch, und ich will es immer noch.“
„Auf gar keinen Fall!“
Als Antwort drückte er ihr Kinn hoch, sodass sie ihm in die Augen sehen musste. „Ich begehre Sie, Lucy.“
„Dann machen Sie mir einen Antrag“, entgegnete sie kühn und bog sich in seinem Arm zurück, um ihn besser ansehen zu können.
Die Zärtlichkeit, die sie in seinen Augen las, verschlug ihr fast den Atem. Und sie erkannte noch etwas anderes: eine Art Gier, sie besitzen zu wollen. „Wollen Sie mich heiraten?“, fragte er mit einer Stimme, aus der jegliche Neckerei verschwunden war.
„Ich habe mich noch nicht entschieden“, erwiderte Lucy und runzelte die Stirn, um ihm zu zeigen, dass er nicht der Herrscher über alles war, worauf sein Blick ruhte. Noch nicht jedenfalls. Im Dunkel der Nacht wirkte er noch eleganter: ein Prinz aus fernen Landen, mit hohen Wangenknochen und dunklen Augen.
„Das liegt daran, dass Sie mir nicht vertrauen“, konstatierte er. „Als wir uns kennenlernten, waren alle meine Handlungen von der Angst vor einem Skandal bestimmt. Alles — jeder Teil meines Plans, und auch die Art des Umgangs mit meinen Cousin. Alles.“
„Das glaube ich“, sagte sie vorsichtig.
„Warum also sollten Sie mir glauben, dass ich Sie liebe?“
Lucy stieß einen leisen Schrei aus. „Sie ...“
„Ich liebe Sie. Als ich sie zum ersten Mal sah, habe ich mich entschieden. Damals hielt ich meine Gründe für die richtigen. Doch ich musste Sie nur einmal anschauen und wusste, dass Sie die Meine werden mussten.“
„Aber warum?“, flüsterte sie. „Wenn es nicht an meiner adligen Geburt liegt?“
„Sie saßen ein wenig abseits“, erklärte Cyrus und küsste zärtlich ihre Nase, dann ihren Mund. „Sie sahen aus, als wollten Sie fliehen, und trugen dennoch den Kopf hoch erhoben. Sie machten den Eindruck, als würden Sie sich niemals vom Leben besiegen lassen. Und außerdem schienen Sie auf etwas zu warten.“
„Ich habe gewartet? “
„Auf mich“, ergänzte er mit einem verschlagenen Grinsen.
„So etwas Eingebildetes habe
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