Das Maya-Ritual
Gesichtsausdruck war ernst, fast sogar ängstlich. Er murmelte Francesca etwas zu, und sie huschte zurück in den Pick-up. Ricardo setzte zu einer Erklärung an, als ein Mann in Tarnanzug und Skimaske wie aus dem Nichts im Eingang hinter ihm auftauchte. Als Ricardo ihn hörte, fuhr er herum, warf mir noch einen Blick zu und schlich mit hängenden Schultern an dem Mann vorbei in das Werk zurück.
»Adios, Ricardo«, rief ich ihm nach und ging in Richtung Tor. Der Blick des Paramilitärs bohrte sich in mich, bis ich mich aufs Fahrrad geschwungen hatte und den Weg zurückzustrampeln begann, den ich gekommen war.
Doch sobald ich um die Kurve gebogen war, stieg ich ab und schob das Rad zurück, bis das Gebäude wieder in Sicht kam. Ich überzeugte mich, dass die Männer im Innern der Anlage waren, dann radelte ich an ihr vorbei und setzte meinen Weg auf der Staubpiste fort.
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Ich wusste, dass Agua Dznot Ixchel aus der Wasserader unter Cozumel gepumpt wurde, das als ein Inselfortsatz Yukatans über dasselbe Grundgestein aus Kreidekarst verfügte und ebenfalls mit Zenoten übersät war - das alles stand auf den Flaschenetiketten. Und von Ken Arnold wusste ich, dass sich an der Staubpiste hinter der Aufbereitungsanlage ein Zenote befand, von dem die Marke ihren Namen hatte: Dznot ist das Mayawort, aus dem Zenote abgeleitet wurde, und Ixchel ist die Fruchtbarkeitsgöttin der Insel, zu der früher alle Mayafrauen pilgerten.
Ken war im Jahr zuvor mit einigen Tauchern dort gewesen, und seiner Aussage nach war der Zenote nicht mehr als ein halb stehender Urwaldtümpel von der Größe eines Ententeichs. Aber er war außerdem das Fenster zu einer Höhle mit kristallklarem Wasser und beeindruckenden Unterwasserfelsformationen.
Der Weg, den ich radelte, war von Reifenspuren gefurcht, in denen das Wasser vom Guss der letzten Nacht stand. Die zunehmende Hitze ließ den Dschungel ringsum dampfen, und ein Schwarm Insekten kreiste um meinen Kopf, während ich über den unebenen Belag hüpfte und holperte.
Dann sah ich ihn. Ein ovaler Teich zwischen den Bäumen, rund zehn Meter abseits der Straße. Doch jetzt war er abgesperrt. Ein drei Meter hoher Stacheldrahtzaun umgab das Wasserloch. Ich fuhr weiter, bis zu einem verrosteten Eisentor in diesem Zaun. Ein Schild, der Touristen wegen in mehreren Sprachen gehalten, verkündete in roten Lettern: GEFAHR - TIEFES WASSER - BETRETEN VERBOTEN.
Ich lehnte das Fahrrad ans Tor und spähte durch den Zaun. Um den Tümpel herum lag das Buschwerk flach, vereinzelt ließen gesplitterte Schösslinge ihr weißes Holz sehen, doch ob der Sturm die Ursache dafür war oder etwas anderes, war schwer zu beurteilen. Am Ufer standen die Reste einer primitiven Hebevorrichtung, ein paar starke Pfosten, die man in die Erde gerammt und am oberen Ende zusammengebunden hatte. In der Gabelung hatte vermutlich eine weitere Stange mit einem Gefäß am Ende dazu gedient, Wasser zu schöpfen.
Ich suchte mit den Augen das Ufer und das Unterholz ringsum nach dem Rest der Vorrichtung ab, als mir der Geruch von verwesendem Fleisch in die Nase stieg.
Ich senkte den Blick. Gleich innerhalb des Zauns, nicht weit von meinen Füßen, lag etwas, das wie ein aufgeblasener schwarzer Gummischlauch aussah, der in schmutzige Fetzen gehüllt war. Langsam erkannte ich es als ein verrottendes Bündel aus Haut und Haaren, aus dem sich eine Gestalt herauskristallisierte. Es war ein Pekari, ein behaartes, schweineähnliches Säugetier, das im Urwald Cozumels heimisch war. Dieses Exemplar hier war schon eine Weile tot, der Kadaver war zum Zerreißen straff aufgebläht von den Verwesungsgasen. Es sah aus, als wäre es gehäutet worden, das Fell hing in Streifen vom Muskelgewebe, und die Sonne hatte es inzwischen zu schwarzem Leder gegerbt. Als ungewöhnlich fiel weiterhin auf, dass der Kadaver noch intakt war - eigentlich hätten längst Geier die Knochen über das ganze Gelände verstreuen müssen. Und es summten keine Fliegen um ihn herum, und keine Maden krochen über ihn. Sie wussten es besser.
Unverkennbar hatte das Pekari aus dem Wasserloch getrunken und die entsprechenden Konsequenzen erlitten.
Aber war der Zenote durch die unter Yukatan tätigen hydrologischen Kräfte verseucht worden? Oder hatte man ihn vorsätzlich vergiftet?
Fünfzehn Minuten später radelte ich auf der Straße nach San Miguel zurück, als mich der Lieferwagen überholte, den Ricardo beladen hatte. Rund einen halben Kilometer weiter fuhr er an den
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