Das Maya-Ritual
bitteren Ende. Wenn ich der Evolutionstheorie anhing, musste ich auch Atheist sein - na schön, Vater, dann bin ich eben Atheist. Und jetzt lass mich in Ruhe.
Aber er gab nicht auf. Er hat nie aufgegeben, nicht während und nach dem College und nicht, seit ich berufstätig bin. Erst vor einem Monat fand ich in meiner Post einen Artikel von ihm - über die Theorie des Intelligent Design. Weniger primitiv als der biblische Kreationismus, erkennt sie die gewaltige Zeitspanne an, die nötig war, um die Geschichte unseres Planeten zu erklären, behauptet jedoch, die natürliche Auslese könne nicht die Komplexität des Lebens auf der Erde begründet haben. Diese müsse das Werk Gottes sein - des intelligenten Gestalters - oder sei auf das Eingreifen außerirdischer Wesen oder einer Gaiaähnlichen Lebenskraft zurückzuführen. Mein Vater, der Bibelfundamentalist, im revisionistischen Bunde mit UFO-Sichtern und Erdanbetern, es war zum Lachen.
Auf diese Weise vom eigenen Vater gepeinigt zu werden, ließ mich aber bisweilen durchaus bedrückt sein. Dann fragte ich mich, ob er etwa weniger um meine unsterbliche Seele fürchtete, sondern sich vielmehr Sorgen machte, er könnte selbst verdammt werden, weil er zuließ, dass ich sie verlor.
Nun zerbrach ich mir hier den Kopf über die düsteren Seiten des Lebensraums, der mich am meisten faszinierte, als könnte ich ihn mit christlichen Prinzipien reformieren. War das ein Vermächtnis meiner Erziehung, oder lag es daran, dass ich das Erlebnis von Chichen Itza auch nach fünf Tagen noch nicht abgeschüttelt hatte?
Ich hob den Kopf über die Wasseroberfläche und winkte Deirdre zu, die das stabile weiße Zodiac-Schlauchboot des Tauchclubs mit einer Hand steuerte, während sie den kleinen, orangefarbenen Wimpel im Auge behielt, der hinter dem Boot meine Position markierte.
Im Auftrag der weltumspannenden Organisation Reefguard überwachte ich eine Krankheit namens Korallenbleiche, die seit dem Ende der Neunziger überall auf der Welt vermehrt auftrat. Diese Krankheit konnte ein Korallenriff zu einem ausgebleichten Skelett verkümmern lassen und schien mit einem Temperaturanstieg zusammenzuhängen, der eine Massenabwanderung der in den Korallen lebenden Algen bewirkte. Diese Zooxanthellen bedienen sich der Fotosynthese, was die Korallen mit Nahrung versorgt, und erhalten im Gegenzug eine Behausung. Nun aber war es, als klemmten die Thermostate in ihren Wohnungen bei hoher Temperatur fest und sie müssten ausziehen.
Wir hatten soeben eine Inspektion durchgeführt, die so aussah, dass ich zehnmal für je zwei Minuten über eines der Riffe von Cozumel geschleppt wurde. Bei langsamer Geschwindigkeit und mit Zwischenstopps musste ich die Art der dort wachsenden Korallen sowie ihren Gesundheitszustand festhalten, außerdem die Anzahl der Seesterne und Seeigel und verschiedene andere Merkmale, die von Zeit zu Zeit überprüft wurden, um Veränderungen im Riff feststellen zu können. An anderen Tagen entnahm ich etwa Wasserproben, führte eine Fischzählung durch oder fotografierte quadratmetergroße Flächen, die ich dauerhaft mit Stahlstangen markiert hatte. Dabei handelte es sich hauptsächlich um Gebiete, in denen die Korallen von der Bleiche geschädigt waren oder in denen es neues Wachstum gab; die Fotos von letzteren schickte ich per E-Mail an Reefguard, damit man ihre Erholung und Entwicklung beurteilen konnte. Alle Wasserproben, die ich entnahm, wurden im Marine Center von Cancun analysiert.
Ich kletterte zurück in den Zodiac, und Deirdre legte den Leerlauf des Bootes ein, bevor sie mir aus meiner Tauchermontur half.
»Du hast Kurs gehalten wie ein alter Hase«, sagte ich und holte eine Kühltasche aus dem Bugkasten.
»Ich bin ein alter Hase, schon vergessen?«, antwortete sie und nahm im Heck Platz.
Wir hatten bei Greenpeace Zodiac-Schlauchboote benutzt. Ich fand es immer ironisch, dass ein in Frankreich hergestelltes Beiboot, das beim Versenken der ersten Rainbow Warrior vor Neuseeland zum Einsatz kam, später selbst stets mit Greenpeace assoziiert wurde. Deirdre und ich waren in unserer Zeit bei Greenpeace erfahrene Seeleute und Taucher geworden, wenn auch die Gewässer, in denen wir seinerzeit tauchten, häufig trübe und verschmutzte Häfen und Flussmündungen oder eisgraue Ozeantiefen waren.
»Wenn ich daran denke, wie wir die Dinger mitten auf dem Ozean einsetzten«, seufzte ich. »Wenigstens hat das Baby hier einen festen Rumpf und kann schwerer See
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