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Das Maya-Ritual

Das Maya-Ritual

Titel: Das Maya-Ritual Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Dunne
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eingefärbt, bis auf die entblößt grinsenden Zähne und die Augäpfel, die noch in den Höhlen saßen.
    Ich schaute in das Kuvert, von dem ich glaubte, dass es mit dem Fragment zusammenhängendes Material enthielt. Das war in der Tat der Fall, Dr. de Valdivia hatte die Daten ausgerechnet, die Hieroglyphen entziffert und die Figuren der Illustration identifiziert.
    Das Datum nach dem Langzeitkalender der Maya auf dem Fragment entsprach dem Jahr 1007 nach dem gregorianischen Kalender. Das allein schon hatte bei Dr. de Valdivia große Aufregung ausgelöst, denn das war fast einhundert Jahre später als das letzte bisher der Wissenschaft bekannte Datum dieses Kalenders. Und es lag außerdem nahe an einem der Scheitelpunkte in der Kurve des zweihundertjährigen Dürrezyklus.
    Ich las mich durch einige seiner Anmerkungen zu den Zeichnungen hindurch und erfuhr, dass die Maya so besessen waren vom Tod und der Frage, wie er sie ereilen könnte, dass sie für jede Eventualität einen eigenen Gott hatten, von Selbstmord bis Tod auf der Reise, vom langsamen Dahinsiechen bis zur eitrigen Entzündung. Zunächst hatte Dr. de Valdivia spekuliert, die makaberen Illustrationen in dem Fragment stellten möglicherweise drei Aspekte von Nanahuatzin dar, der auch in anderen mittelamerikanischen Kulturen bekannt ist und oft als der Beulenpestgott bezeichnet wird. Wie es schien, hatte Nanahuatzin das fünfte und letzte Weltzeitalter eingeleitet , das, in dem wir leben, und dem Rindenfragment zufolge würde er am Ende der Epoche zurückkehren. Dieses Ende legte der Langzeitkalender der Maya auf den 21. Dezember 2012 fest, den Tag, an dem wieder ein Mayakönig regieren würde, wie Dr. de Valdivia Ken erklärt hatte - nicht nur ein Ende, sondern auch ein Neuanfang.
    Die Fortschritte in der Inschriftenkunde der Maya gegen Ende des zwanzigsten Jahrhunderts hatten es Dr. de Valdivia jedoch ermöglicht, seine Deutung des Fragments zu revidieren. Die Namenshieroglyphen ergaben die Worte Ahaw für Herr, Am für Spinne, Ha für Wasser und Kimil für Tod. Die Gestalt war tatsächlich eine Gottheit mit drei Aspekten, aber ihr Titel lautete Spinnenherr Wassertod, der Spender von Am-ha-kimil.
    Und dieser Gott Amhakimil würde das die Epoche beendende Ereignis beherrschen, das für die Zeit um Weihnachten 2012 angesetzt war.
    Ich warf noch einen Blick auf die Abbildung des Todesgottes in dem Leporello und rief mir eine Äußerung ins Gedächtnis, die Dr. de Valdivia auf seiner Führung durch Chichen Itza gemacht hatte, als wir an dem Tzompantli vorbeikamen.
    »… damals waren sie natürlich rot angemalt.« So wie die Skelettgestalt in dem alten Fragment vor mir. Und jetzt wurde mir klar, was mein Unbehagen angesichts der gemeißelten Schädel auf der Steinplattform ausgelöst hatte - die Augen saßen noch in den Höhlen, wiederum wie bei dem Skelett in dem Fragment. Die Maya hatten also in ihrem Bemühen, Gott Amhakimil günstig zu stimmen, den Schädeln der Geopferten die Haut abgezogen, damit sie den Opfern der Fäulniskrankheit ähnelten. Das war eine Entdeckung, die Archäologen und Historikern eine völlig neue Sicht auf Kunst und Rituale der Maya eröffnen würde.
    Dr. de Valdivia hatte sich bescheiden als einen Amateurgelehrten bezeichnet. In Wahrheit aber war seine Arbeit der Antwort auf das berühmte »Rätsel« der Mayakultur sehr nahe gekommen.
    Meiner Ansicht nach wurden jedoch zwei wichtige Fragen in seinen Schriften nicht angesprochen: Wenn Amhakimil nicht ansteckend war, warum erlagen dann bei einem großen Ausbruch so viele Leute der Krankheit, vor allem bei jenem letzten, der das Ende der Städtebauer bedeutete? Und wie konnten die Maya zu der Selbsttäuschung gelangen, dass genau das Wasser, durch das sie sich mit Amhakimil ansteckten, auch dessen Gegengift enthielt?
    Die Lampe flackerte kurz. Der Sturm stellte die Stromleitungen auf die Probe.

41
    Wenn man Deirdre als Geisel genommen hatte, würde ich ihre Familie benachrichtigen müssen, und das besser früher als später. Es war bereits nach Mitternacht, aber in Irland erst Abend. Ich konnte es bis morgen früh aufschieben, damit blieben rund sechs Stunden, in denen Deirdre wieder auftauchen oder ihre Entführer sich melden konnten. Gedanken an das Schicksal Goldbergs oder des Basketballteams versuchte ich zu verbannen, aber das war ohnehin nicht zu vergleichen. Die hatte man als Ziel anvisiert, um Touristen abzuschrecken und Spannungen zwischen den USA und Mexiko auszulösen.

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