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Das mechanische Herz

Das mechanische Herz

Titel: Das mechanische Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dru Pagliassotti
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befestigt.
    „Kein Wunder, dass man sie das Herz Ondiniums nennt“, dachte Taya, als sie durch den scheinbar unendlich großen Raum flog. Ihr eigenes Herz schien sich dem stampfenden Takt hier unten anpassen zu wollen, ihre Flügelspitzen zitterten jedesmal, wenn sie zu dicht an einem der gewaltigen Maschinenteile vorbeiflog.
    Die Laufstege, an denen sie vorbeikam, waren allesamt leer. Aber mit der Zeit bemerkte sie, dass in die Bergwand Verwaltungsräume eingelassen waren, die von den Laufstegen aus zugänglich waren. Auch hier schien sich niemand aufzuhalten, wobei sie sich fragte, ob das normal war oder ob die Maschine und ihr Umfeld wie der Turm nach der Explosion in der Drahtfähre geräumt worden waren.
    In einem hatte Cristof jedoch recht: Es musste noch einen anderen Zugang zu diesem Raum geben. Die riesigen Zahnräder und Schlagbolzen hätten nie und nimmer durch den Flur und das Treppenhaus gepasst, durch das Cristof und sie gekommen waren. Wahrscheinlich war dieser zweite Eingang wirklich ein Staatsgeheimnis.
    Endlich entdeckte sie einen Laufsteg, der im rechten Winkel zu einem der Stege an der Bergwand verlief. Er erstreckte sich über den leeren Raum hinweg und endete in einer Plattform neben der Großen Maschine. Taya erwischte einen Aufwind, ließ sich höher tragen und kniff die Augen zusammen, um sich die Sache von oben anzusehen.
    Konnte es sein, dass sich auf der Plattform jemand bewegte? Trotz des gleißenden, grellen Lichts fand sie es schwer, auszumachen, ob das da unten eine menschliche Gestalt war, oder ob ihr die sich ständig verschiebenden Schatten im Raum einen Streich spielten. Sie kippte Flügel und Schwanz und ließ sich wieder hinuntergleiten.
    Die Gestalt drehte sich um, und ein verblüfftes Gesicht wandte sich Taya zu.
    Die keuchte entsetzt auf. Einen Augenblick lang verlor sie die Kontrolle über ihre Flügel und damit auch gleich noch die Luftströmung, die sie getragen hatte. Sie geriet so heftig ins Taumeln, dass sich einer ihrer Flügel verdrehte und plötzlich unter ihr hing.
    Sekundenlang drehten sich Wände und Maschine wie wild um sie herum, während sich Schwerkraft und Ondium einen heftigen Kampf um ihren Köper lieferten. Endlich gelang es ihr, sich mit rasendem Herzen so weit zu biegen, dass sie die Flügel ausbreiten konnte, und bog den Rücken durch. Welch ein Chaos! Der Absturz erschreckte sie nicht halb so sehr wie der Anblick des Eindringlings auf der Plattform – mit Schwerkraft und freiem Fall konnte sie umgehen. Sie verdrehte sich noch einmal so in der Luft, dass sie mit dem Kopf nach unten hing, schlug kräftig die Arme nach unten, spürte, wie sich die Metallfedern in ihren Flügeln schlossen, Luft einfingen.
    Irgend etwas streifte ihr linkes Bein an der Wade, hinterließ einen heftigen, brennenden Schmerz. Noch eine kräftige Abwärtsbewegung der Flügel, und sie hatte sich vollends gefangen, flog wieder nach oben. Ihr Ziel war das Geländer des Laufstegs über ihr, das sie anvisierte, indem sie den Blick fest auf die Ondiumstäbe richtete, die im Zickzack unter dem Steg verliefen und dafür sorgten, dass er sich in der Luft hielt. Sie breitete die Flügel aus – unter ihr ließ eine der Dampfmaschinen laut zischend Druck ab, eine heiße Wolke, die ihr willkommenen Auftrieb verlieh.
    Ihre Wade tat inzwischen sehr weh. Sie versuchte, einen Blick darauf zu werfen, aber die Verstrebungen, die den rückwärtigen Teil der Flugausrüstungen mit den Schwanzfedern verbanden, waren im Weg, sie konnte ihre Beine nicht sehen.
    Also schaute sie lieber nach oben.
    Der Eindringling auf seiner Plattform hatte sich inzwischen hingekauert und starrte durch den Gitterboden zu ihr herunter, eine Mischung aus Bewunderung und ungläubigem Staunen in den glitzernden grünen Augen.
    Dann hatte sie sich also nicht geirrt.
    Bei dem Mann auf dem Podest handelte es sich wirklich um den Erhabenen Alister Forlore. In einem bestickten Gewand und mit juwelengeschmücktem Haar. Die Ebenholzmaske baumelte ihm am Gürtel.
    Ihre Blicke trafen sich. Einen Moment lang konnte Taya nur daran denken, wie erleichtert und glücklich Cristof sein würde, wenn er erfuhr, dass sein Bruder noch lebte – dann erst wurde ihr siedendheiß klar, was es zu bedeuten hatte, wenn Alister noch lebte und sich hier im Maschinenraum herumtrieb. Die Erkenntnis traf sie mit solcher Wucht, dass jeder Gedanke an Freude und Erleichterung wie weggeblasen war. Statt dessen packte sie heftige, rechtschaffene Wut.
    Oben

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