Das mechanische Herz
„Danke, Erhabener.“
Ein paar Minuten lang saßen die beiden friedlich in dem tickenden, sirrenden Zimmer, mit nichts anderem als essen beschäftigt. Es war ein schlichtes, aber sättigendes Mahl, das sie hier teilten, eine Mahlzeit, die Taya an die erinnerte, die sie als kleines Mädchen mittags ihrem Vater ins Werk gebracht hatte. Auch ihr Vater hatte sein Essen mit ihr geteilt, draußen, auf einer Bank vor dem Werk. Ihr Vater – von oben bis unten voller Schweiß und Ruß, aber stets mit einem liebevollen Lächeln für seine älteste Tochter.
Ganz anders als der Erhabene da vor ihr mit seiner sauertöpfischen Miene.
Sobald der ärgste Hunger gestillt war, wischte sich Taya die Hände an Cristofs Putzlappen ab, griff nach der Stoutflasche und füllte beide Becher wieder auf. Cristof nahm den seinen ohne ein Wort zu sagen entgegen.
„Findet Ihr hier unten genügend Arbeit?“, erkundigte sich Taya, krampfhaft auf der Suche nach einem unverfänglichen Thema, das nicht gleich wieder zu Verstimmungen führen würde.
„Ja.“ Cristof starrte in sein Bier. Einen Augenblick lang fürchtete sie schon, er würde es bei dieser kurzen Bemerkung belassen, aber dann fügte er, fast als wolle er sich verteidigen, hinzu: „Es mag dir hier sehr ruhig vorkommen, aber das liegt daran, dass mich die meisten Kunden morgens auf dem Weg zur Arbeit aufsuchen. Ich muss diese Woche drei Stand- und zwei Taschenuhren reparieren, ich habe genug zu tun.“
„Gibt es denn in Tertius so viele Leute mit Zeitmessern?“ Tayas Familie besaß keine Uhr.
„Die Fabriken haben Uhren, und die Vorarbeiter und Bosse, die in Sekundus leben, bringen ihre Uhren und Taschenuhren zu mir herunter. Wohl auch, weil mein Laden von der Brücke der Feinschmiede aus leicht zu erreichen ist.“
„Dann arbeitet Ihr also im wesentlichen für Angehörige der Kardinalskasten?“
„Auch aus Primus bekomme ich Arbeit.“ Das schien ihn allerdings nicht sehr zu freuen. „Alister scheut keine Mühen, mich weiterzuempfehlen, und er ist so charmant, dass die anderen Erhabenen bereit sind, über mein exzentrisches Benehmen hinwegzusehen, nur um ihm eine Freude zu machen.“
„Ihr müsst gut sein, denn sonst würden sie nicht wiederkommen.“ Taya verspürte eine gewisse Befriedigung darüber, dass sich der Uhrmacher wie ein normaler Mensch mit ihr unterhielt, und wollte ihn aufmuntern.
„Jeder, der es lernen möchte, kann einfache Reparaturen durchführen.“ Cristof sah auf. „Kompliziert wird es, wenn man Erbstücke restaurieren oder kostbare Einzelexemplare wiederherstellen soll. Darin liegt meine Spezialität. Ich treibe ungewöhnliche Ersatzteile auf oder stelle sie her und kann so alte Uhrwerke reparieren, die man jahrelang hat verkommen lassen. Ich kenne mich auch mit Importware aus, ich stehe in brieflichem Kontakt mit allen wichtigen Uhrmachern des Kontinents, und manchmal fertige ich eigene Uhren an.“
„Dann seid Ihr ein viel bedeutenderer Uhrmacher, als ich anfangs dachte.“ Taya freute sich sehr, dass sie ihren Gesprächspartner so weit aus sich herausgelockt hatte. „Darf ich mir ein paar von Euren Arbeiten ansehen?“
Auf Cristofs markanten Wangenknochen zeichneten sich rote Flecken ab. Er wandte den Blick ab und rückte sich die Brille auf der Nase zurecht.
„Ich habe nichts hier, was dich beeindrucken würde“, wehrte er ab.
Wieder wanderten Tayas Augen unwillkürlich zur Tätowierung auf Cristofs Wange. Sie wirkte hier im Laden ebenso befremdlich wie draußen auf der Straße. Dachte man sich die fehlenden Roben und Juwelen hinzu, so hätte ihr hier jeder andere Erhabene gegenübersitzen können, der in einem privaten Raum seine Maske abgelegt hatte, um ein wenig mit einer Ikarierin zu plaudern.
„Hier stehen momentan nur gewöhnliche Uhren“, fuhr Cristof fort, wobei er sich wieder so anhörte, als wolle er sich irgendwie verteidigen. „Meine Auftragsarbeiten sind kostbarer und reicher verziert, aber die liefere ich gleich nach Fertigstellung aus.“
„Besitzt Ihr selbst keinen Chronometer?“
„Nichts Außergewöhnliches.“ Nach kurzem Zögern zog er eine goldene Taschenuhr aus der dunklen Weste und löste die Kette aus einem Knopfloch. „Ich habe sie schon vor langer Zeit angefertigt. Sie sieht nach nichts aus, geht aber sehr genau.“
Behutsam nahm Taya die Uhr aus den schlanken Fingern entgegen, spürte, wie die Kette über ihre Hand glitt. Das warme, schwere Gehäuse war aus purem Gold, das Wertvollste, was
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