Das mechanische Herz
sie je in der Hand gehalten hatte.
Für den Zeitmesser eines Erhabenen machte die Uhr einen schlichten Eindruck. Weder Juwelen noch Einlegarbeiten zierten das Gehäuse, lediglich eine Gravur: ein stilisiertes Zahnrad. Wie ein kleines Herz zitterte die Uhr in Tayas Hand. Sie hielt sie ans Ohr, lauschte dem leisen Ticken.
„Hier.“ Cristof war aufgestanden und hatte sich über den Tisch gebeugt, um ihr zu zeigen, wie man das Gehäuse aufklappte. Seine Finger fühlten sich noch genauso kalt an wie in der Nacht zuvor.
Das Zifferblatt bestand aus grauem Perlmutt, die vier Zahlen für die Viertelstunden und die Zeiger aus Gold. Taya lachte entzückt auf.
„Was?“, wollte Cristof wissen.
„Ach nichts! Nur, das Gehäuse ist so schlicht, da hatte ich im Innern etwas Ähnliches erwartet.“ Bewundernd hielt sie den Chronometer in das schwache Licht, das durch die Fenster in den Raum fiel. „Wie schön sie ist! Das Grau passt genau zu Euren Augen.“
Auf der anderen Seite des Tisches ließ sich Cristof mit einem halberstickten Laut wieder auf seinen Stuhl fallen.
„Das ist Perlmutt, nicht wahr?“, fuhr Taya fort. „Ich habe auf dem Markt schon mal Schmuckstücke aus Perlmutt gesehen. Stammt der hier aus dem Nordmeer?“
„Nein. Importware aus dem Süden.“ Cristof warf ihr einen eigenartigen Blick zu, woraufhin Taya prompt errötete. Hatte sie sehr dumme Fragen gestellt?
„Das Meer würde ich zu gern einmal sehen!“, meinte sie, um ihre Verlegenheit zu überspielen, eine Bemerkung, die ihr, kaum hatte sie sie ausgesprochen, noch lächerlicher vorkam als ihre Fragen. „Ich meine – ich würde gern einmal sehen, wie Muscheln in der Natur wirken.“ Sie klappte die Uhr zu und reichte sie Cristof zurück, fest davon überzeugt, dass er sie insgeheim auslachte. „Das Zahnrad auf dem Gehäuse – ist das Euer persönliches Zeichen? Oder ist es ein Uhrmachersymbol?“
Cristof schien den Blick nur mit Mühe von ihrem Gesicht losreißen zu können. Er schob die Uhr in die Westentasche. Zwischen seinen Brauen hatte sich erneut eine Falte gebildet.
„Es hat nichts zu bedeuten.“
„Wirklich nicht?“, hakte sie nach. „Irgend etwas muss es doch aber symbolisieren, sonst hättet Ihr es nicht in Euren Chronometer eingraviert.“
„Den Chronometer habe ich vor Jahren angefertigt.“ Cristof hielt die Stoutflasche ans Licht, musste feststellen, dass sie leer war, und setzte sie wieder ab. „Höchstwahrscheinlich hatte ich damals vor, das Zahnrad zu meinem Signum zu machen. Aber über solche Spielereien bin ich inzwischen hinweg. Wie ein Chronometer aussieht ist auch nicht wichtig. Wichtig ist, wie genau er die Zeit misst.“
Taya nickte. Dann war es also aus mit der Gesprächigkeit, er zog sich wieder zurück. Schnell wechselte sie das Thema. „Wie wahr! Bei uns im Horst steht eine hübsche Standuhr, die leider immer wieder zehn Minuten nachgeht. Unsere Wirtin stellt sie ziemlich oft, aber nach etwa einem Tag sind wir wieder beim selben Thema: Sie geht ihre zehn Minuten nach. Wir haben uns angewöhnt, zehn Minuten dazuzuzählen, wenn wir auf den Chronometer sehen. Geht sie zwischendurch mal richtig, weil die Wirtin sie gerade gestellt hat, dann sind wir überall zehn Minuten zu früh.“
„Zieht eure Wirtin sie jeden Tag zur selben Zeit auf?“
„Ich glaube schon. Bei dem Chronometer kann man das allerdings schwer sagen.“
„Ts.“ Cristofs Lippen verzogen sich zu einem schmalen Strich. „Was nutzt einem ein Chronometer, der seine Arbeit nicht tut? Ich kann ihn euch richten, wenn du möchtest.“
„Ich glaube nicht, dass wir uns Eure Dienste leisten können, Erhabener.“
Er warf ihr einen raschen Seitenblick zu und zuckte die schmalen Schultern. „Wenn ich sie mir einfach mal ansehe, kostet das nichts.“
Taya senkte den Kopf, um ihr Lächeln zu verbergen. Cristofs Offerte war ungeschickt und nicht gerade sehr anmutig gekommen – genau so hatte er ihr das Bier und die Hälfte seiner Mahlzeit angeboten. Trotzdem hatte sie das Gefühl, sie kam von Herzen. Er schien Uhren wirklich zu lieben.
„Das ist sehr nett von Euch. Ich wohne in den Drei Alkiden. Ich bin sicher, meine Wirtin lässt Euch ein, sobald Ihr erklärt, weswegen Ihr kommt.“
„Vielleicht ...“ Cristof schien zu zögern. „Du bist heute nicht im Dienst, sagtest du? Ist das die Belohnung dafür, dass du gestern Viera gerettet hast?“
„Wie? Nein – eigentlich nicht.“ Taya wurde rot, als sie sich daran erinnerte, wie
Weitere Kostenlose Bücher