Das mechanische Herz
bist – ich werde es als erster wissen.“ Er hörte sich an wie ein eifriges Kind – Taya konnte nicht anders, sie musste lächeln.
„Warum ist das so wichtig, Erha... Alister?“
„Nur für mich allein, aber für mich bedeutet es eine große Genugtuung.“ Alister musterte seinen Gast mit schräggelegtem Kopf. „Warum willst du Diplomatin werden? Das ist eine Arbeit, die durchaus gefährlich werden kann, und wenn du ganz großes Pech hast, schicken sie dich aus der Stadt, und du musst für eine Botschaft im Ausland arbeiten.“
„Das wäre kein Pech, darüber würde ich mich im Gegenteil sehr freuen! Ich würde zu gern ein anderes Land kennenlernen. Wäre es nicht fabelhaft, die anmutigen, berühmten Weinberge von Mareaux zu sehen? Oder eine Bärenjagd in Demikus? Oder den Dschungel von Cabiel?“
„Ich verstehe, du bist eine echte Ikarierin, voll hochfliegender Träume und Ambitionen.“
„Wart Ihr je außerhalb Ondiniums?“
„Das ist mir nicht gestattet. Wer auf der Hochschule Programmieren studiert, unterschreibt einen Vertrag, in dem er sich verpflichtet, in der Stadt zu bleiben. Gerüchteweise gibt es bei den Liktoren sogar eine Sondereinheit, die entwichenen Programmierern nachstellt, um sie zurückzubringen – tot oder lebendig.“
„Nein!“ Taya war bestürzt. Das hörte sich an wie eine von Pykes Geschichten. „Glaubt Ihr diesen Gerüchten?“
„Ich habe sie nicht erfunden – gut, vielleicht ein wenig ausgeschmückt. Ich nehme an, es handelt sich um gewöhnliche Liktoren, die etwaige aufsässig gewordene Programmierer wieder heimbringen, und ich nehme weiter an, dass sie diese lieber lebendig als tot fangen. Aber es stimmt, jeder Programmierer ist per Gesetz verpflichtet, sein Leben in Ondinium zu verbringen. Das dient dem Schutz der technologischen Mysterien der Stadt.“
„Heißt das, Ihr werdet Ondinium nie verlassen?“
„Ich will die Stadt gar nicht verlassen! Warum auch. Ich bekomme hier dieselben Weine, Bärenhäute und Früchte des Urwaldes wie in jedem anderen Land. Wie heißt es doch so schön? ‚Alle Wege führen nach Ondinium ‘ .“ Kleine Lachfältchen bildeten sich um Alisters Augen. „Jetzt findest du mich bestimmt langweilig und verlierst jegliches Interesse an mir.“
„Nein! Auch ich liebe Ondinium. Aber ich möchte mehr sehen als nur Drähte und Smog. Ich möchte, ehe ich sterbe, über ein Eisfeld oder einen Ozean fliegen.“
„Dann warst du in deinem letzten Leben bestimmt Händler oder Soldat.“
„Oder ein Vogel. Viele Ikarier glauben, sie waren Vögel.“ Sie trank einen Schluck Wein. Er schmeckte gut, aber sie hätte sich bei einem hellen Bier wohler gefühlt. Allein schon, weil dieses Getränk ihr vertraut war.
„Wenn du in einem früheren Leben ein Vogel warst, dann bestimmt einer von diesen kleinen Jagdfalken, die ich die Gesandten aus Mareaux mit sich habe herumtragen sehen“, sinnierte Alister. „Kleine Rotschöpfe, sauber geputzt, beweglich und voller Feuer.“
„Na, wer schmeichelt denn jetzt wem?“, schalt sie ihn.
„Überhaupt nicht, Taya Falke.“
„Heute abend bin ich ein Falke ohne Flügel.“
„Aber nur heute abend. Ich freue mich darauf, dich bei unserem nächsten Treffen wieder mit deinen Flügeln zu sehen. Beim nächsten Treffen im Oporphyrturm natürlich.“
Peinlich berührt betrachtete Taya ihren Fliegeranzug. „Das mit dem Anzug tut mir leid, aber ich hatte nichts Formelles, das zur Einladung heute abend gepasst hätte.“
„Du brauchst dich wirklich nicht zu entschuldigen, im Gegenteil: Du siehst sehr charmant aus. Vergiss nicht, dass ich einer Kaste angehöre, deren Mitglieder ihre Körper unter mehreren Lagen schwerer Roben verbergen.“ Alister wies auf die drei glitzernden Rockaufschläge auf seiner Brust. „Ich genieße das Privileg sehr, hier sitzen und deine Beine bewundern zu dürfen, ohne Anstoß zu erregen.“
Taya musste erneut lachen. Cassi würde sich freuen, wenn sie das hörte. „Dann seid Ihr bestimmt jedesmal richtig begeistert, wenn Ihr in die unteren Sektoren reist.“
„Wäre ich, könnten sich alle Kasten dazu durchringen, sich dieser wirklich attraktiven Bekleidung zu bedienen, bei der die Figur so perfekt zur Geltung kommt. Vielleicht sollte der Rat ein entsprechendes Gesetz erlassen.“
„Kleidet Ihr ... kleiden sich Erhabene immer so formell, selbst im eigenen Haus?“ Taya hatte beschlossen, dass es Alister nach seinen Späßen eigentlich nichts mehr ausmachen dürfte, wenn
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