Das Meer der Seelen Bd. 1 - Nur ein Leben
geworden, wo kam ich her und, wenn es noch weitere ungeborene Seelen gab, warum ausgerechnet ich? Wie kam es, dass ich geboren wurde? Aus Glück? Oder hätte ich vor fünftausend Jahren mit allen anderen geboren werden sollen und war nur irgendwo unterwegs stecken geblieben? Das wäre typisch für mich. »Um herauszufinden, was geschehen ist, muss ich verstehen, warum alle anderen wiedergeboren werden. Es wird ihnen wohl kaum gefallen, wenn ich dieser Frage nachgehe.«
»Vertrau mir. Du wirst Zugang zu allem haben, was du brauchst. Selbst wenn sie etwas aus der Bibliothek entfernen, werde ich es für dich finden. Irgendwie. Alles wurde vor zwei oder drei Generationen digital archiviert. Nutzerfreundlich, haben sie gesagt.« Er verdrehte die Augen. »Vielleicht fällt mir wieder ein, wie man an die Informationen herankommt, aber Whit oder Orrin werden es definitiv wissen. Sie sind die Bibliotheksarchivare.«
Meine Hand schwebte für einen Augenblick über seiner, als wir weitergingen, aber ich zog sie zurück, bevor er – oder jemand anders – es bemerkte. »Ich bin froh, dass du mich gefunden hast, Sam«, sagte ich stattdessen. »Ich hätte es erheblich schlimmer treffen können.«
»Ich bin auch froh darüber.« Der Blick, den er mir schenkte, war voller – Zuneigung?
Es war zu verwirrend herauszufinden, was er wirklich von mir hielt. Wenn wir hier fertig waren, würde er vielleicht wieder für mich Klavier spielen. Wenigstens damit konnte ich umgehen.
»Was ist da hinten los?« Ich zeigte auf die Menschenmenge
um den Tempel und ein anderes großes Gebäude darunter. Menschen schlenderten umher, plauderten miteinander, tranken aus Pappbechern, obwohl ich nicht erkennen konnte, woher sie sie hatten. Der Duft von frischem Brot und Kaffee wehte uns entgegen.
»Dies ist der Marktplatz«, erklärte Sam, als wir uns einem gepflasterten Platz näherten, der den Tempel umgab. »Einmal im Monat findet ein Markt statt, wo man fast alles kaufen kann, was man braucht.«
Ich hatte noch nie im Leben so viele Menschen gesehen, sie waren so laut, alle riefen und lachten. »Und heute ist so ein Tag?«
Sam rückte näher an mich heran, als brauchte ich seinen Schutz. »Nein, das sind einfach die Leute, die jeden Morgen herkommen. Es ist der beste Ort, um Leute zu treffen, und wenn du zu faul bist, dir dein eigenes Frühstück zu machen, hat Armande fast immer einen Stand offen.«
Ich blieb stehen, als zwei Kinder vorbeirannten, ohne darauf zu achten, wo sie hinliefen. »Bist du sicher, dass heute nicht Markt ist?«
Er führte mich um eine Gruppe von Tischen und Bänken herum, weg von einer Hand voll Menschen, die mich anstarrten, als hätte ich vier Köpfe. »Dies ist nur ein Bruchteil der Bevölkerung. Am Markttag wird es hier brechend voll sein.«
»Mein ganzes Leben hat es nur Li und mich gegeben.« Und hier und da einen Besucher, aber sie waren nur gekommen, um Li zu sehen. »Ich schätze, mir war nicht klar, dass es so viele Menschen gibt.« Und sie sind so laut . All das Lachen, Singen und Schwatzen.
Sam drückte mir die Hand in den Rücken und schleuste mich zu einem Klappstand mit Tabletts voller Esswaren unter Glashauben. »Sag Bescheid, wenn es dir zu viel wird.«
»Mir geht es gut.« Doch meine Worte kamen mir angestrengt vor. Wann immer wir an einer Gruppe von Menschen vorbeigingen, gafften sie mich an. Die Neuigkeit über die Ankunft der Seelenlosen hatte sich schnell herumgesprochen.
»Was denkst du, wer der Nächste ist?«, fragte eine Frau hörbar den Mann, der neben ihr saß. »Erst Ciana. Jeder könnte als Nächstes ersetzt werden.«
Ich rief mir ins Gedächtnis, dass ich nichts mit meiner Geburt zu tun hatte. Ich hatte nichts mit Cianas Verschwinden zu tun. Das verhinderte jedoch nicht das Schuldgefühl.
»Jemand meinte, der Tempel sei dunkel geworden, als Ciana starb«, erwiderte der Mann. »Meuric und Deborl haben allen gesagt, es sei Janan, der uns bestrafe, oder vielleicht hat Ciana …«
Als ich aufschaute, um zu sehen, ob Sam das Gespräch gehört hatte, blickte er finster auf das Paar. »Ignorier sie einfach, Ana«, sagte er.
Wenn das so weiterging, würde ich alle Menschen auf der Welt ignorieren müssen. Die eine Million Seelen von Heart. »Jeder hasst mich.«
»Aber nein.« Er lächelte mich an, und da war wieder diese Wärme. Zuneigung. Er hasste mich nicht, obwohl ich keinen Schimmer hatte, warum nicht. »Versuch einfach, viel zu lächeln. Mach einen freundlichen
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