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Das Meer Der Tausend Seelen

Das Meer Der Tausend Seelen

Titel: Das Meer Der Tausend Seelen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carrie Ryan , Catrin Frischer
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darauf, dass es Catcher etwas ausmachen könnte?
    Ich räuspere mich, dann gebe ich vor, mir das Tor näher anzusehen, das über die ganze Breite des Pfades geht. Unter der Klinke schimmert etwas, und ich streiche mit den Fingern darüber. »Ich glaube, hier ist was«, sage ich. Die anderen reichen Wasser herum, sie halten inne, als ich mich hinhocke, um mir die Sache genauer ansehen zu können.
    Ein kleiner Riegel ist am Zaun befestigt, in den die Buchstaben IV eingeritzt sind. »Ich glaube, das sind die Zahlen, die meine Mutter mir beigebracht hat, als ich klein war«, sage ich und schaue mich zu ihnen um. »Da steht IV , und das heißt vier.«
    »Geht der Pfad dahinter weiter?«, fragt Cira.
    Mit zusammengekniffenen Augen schaue ich durch die Maschen in die Ferne. »Sieht so aus.« Ich runzele die Stirn und mustere die Buchstaben. Irgendetwas regt sich leise in meiner Erinnerung. Aber es zu fassen, ist wie der Versuch, Schnee einzufangen, ich bekomme nichts Festes in die Hand.
    »Wir haben die Möglichkeit, weiterzugehen oder umzukehren«, sagt Catcher. »Ich würde sagen, wir sollten den Pfad nehmen, solange er frei ist.«
    Sie gehen durch das Tor, während ich am Boden hocken bleibe und weiterhin versuche herauszufinden, was mir hier so bekannt vorkommt. Wenn ich mit meiner Mutter durch den Wald gegangen bin, muss ich durch dieses Tor gekommen sein. Ich erschrecke, als Elias mir wieder die Hand reicht. Diesmal beachte ich sie nicht und stehe allein auf.
    Der Inhalt meines Rucksacks verlagert sich ein bisschen, und ich drücke die Hände ins Kreuz, um den Schmerz zu lindern.
    Elias neigt den Kopf. »Alles in Ordnung?«, fragt er mit einer Miene, die aufrichtig besorgt wirkt.
    Ich drehe mich um und folge den anderen den Pfad entlang. »Alles bestens.« Er schließt das Tor hinter uns.
    Als Cira nicht mehr weiterlaufen kann, müssen wir anhalten; ihre Beine zittern, ihr blasses Gesicht ist verschwitzt. Catcher hilft ihr, sich auf den Boden zu setzen. Elias macht ein kleines Feuer, und wir verbringen die frühe Dämmerung damit, Mücken totzuschlagen und wenig zu sagen. Keiner von uns weiß, worüber wir reden könnten.
    Es ist, als wären wir Fremde. Wir sind zu entsetzt, um unsere gegenwärtige Lage zu diskutieren, und dabei auch noch zu ängstlich, um über etwas anderes zu reden. Schließlich wird mir das Stöhnen der Mudo und das Zirpen der Zikaden zu viel, ich bekomme Krämpfe in den Beinen, weil ich mich bewegen muss. Ich bin es nicht gewohnt, ständig von Menschen umgeben zu sein und jede Geste, jedes Geräusch und jede Bewegung Blicken preiszugeben.
    »Ich gehe ein Stück, schaue mal, was vor uns liegt«, sage ich. Dann hole ich mein Messer raus, und bevor jemand antworten kann, habe ich mich schon aufgemacht. Weit bin ich noch nicht gekommen, als ich einen vertrauten Schritt durch das trockene Gras rascheln höre. Catcher ruft meinen Namen. Ich bleibe stehen und warte, bis er mich eingeholt hat.
    »Es ist nicht gut für dich, allein zu gehen, Gabry«, sagt er. Meine Schultern erstarren. Ich will ihm antworten, dass es mir eigentlich genau darum ging, dass ich eine Zeit lang wegwollte von den anderen, um nachzudenken. Aber ich spreche es nicht aus, denn es ist schon so lange her, seit wir uns unterhalten haben, seit ich ihm nah war – und dass wir beide in der Dämmerung allein sein können, fühlt sich gut an.
    Ich nehme seine Hand. »Wie geht es dir?«, frage ich.
    Er schaut auf den Boden, auf unsere Hände, auf den Zaun, überall hin – nur nicht in meine Augen. Er zuckt mit den Schultern, tausend Gefühle spiegeln sich auf seinem Gesicht. »Weiß nicht«, meint er schließlich.
    Das ist nicht die Antwort, die ich erwarte. Er soll sich mir anvertrauen, ich will mich ihm so nah fühlen können wie in dem Moment, als wir uns geküsst haben. Ich weiß, seitdem hat sich alles geändert, aber er lebt. Er hat den Biss überlebt. Seine Immunität sollte nichts zwischen uns ändern, aber irgendwie habe ich das Gefühl, dass es doch so ist. Wenn ich ihn nur auf irgendeine Weise dazu bringen könnte, mit mir zu reden! Stattdessen halte ich seine Hand bloß noch fester.
    »Hast du Cira davon erzählt?«, frage ich. »Von der Immunität?«
    Er nickt. »Ich bin mir nicht sicher, ob sie es wirklich verstanden hat. Aber sie war so glücklich, dass sie geweint hat.« Darüber lächelt er ein wenig – und das erinnert mich daran, wie sehr ich es liebe, ihn lächeln zu sehen. Wir haben uns immer so sehr aufgezogen und

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