Das Meer Der Tausend Seelen
geneckt. Ich will das Lächeln erwidern, aber das wirkt angestrengt und irgendwie verkehrt. Er starrt auf unsere miteinander verwobenen Finger. »Ich weiß selbst nicht genau, ob ich es verstehe«, sagt er leise.
»Wie ist es denn?«, frage ich in der Hoffnung, seine Gefühle zu verstehen.
Er atmet tief ein, seine Brust weitet sich und streift fast meinen Arm. »Körperlich ist es wie …« Er hält inne. »Wie Feuer. Wie in einem Raum ohne Fenster und Tür, in dem sich immer mehr Hitze anstaut, bis man keine Luft mehr bekommt.«
»Tut es weh?«
Er schweigt. Dann sagt er: »Ich glaube, das Schlimmste daran ist, es nicht zu verstehen. Nicht zu wissen, ob ich mich nicht plötzlich wandeln werde. Und was passiert, wenn ich sterben würde …« Er beendet den Satz nicht, und wieder macht sich Schweigen zwischen uns breit.
Ich habe Angst, die Stille zu durchbrechen, aber ich muss es wissen. »Es wird doch gut, oder?« Ich schaue zu ihm auf, versuche dieses Gefühl von Nähe wiederzuerlangen, das wir hatten, ehe sich alles geändert hat. Die Hoffnung, die Zukunft. Er zieht seine Finger aus meiner Hand und geht den Pfad weiter. An seiner Stelle weht die Abendluft, und ich fühle mich verzweifelt und einsam.
Ich verstehe nicht, was ich falsch gemacht habe, und renne hinter ihm her, doch der Pfad ist so eng, dass wir nicht nebeneinander gehen können. Die Arme schwingend, stapft er durch das hohe Gras.
»Warte, Catcher!«, rufe ich.
Er bleibt vor mir stehen. Ich sehe, wie schnell sich seine Schultern heben und senken, als ob er versuchen würde, wieder zu Atem zu kommen. Er dreht sich nicht um, und ich gehe und lege ihm die Hände auf den Rücken, streiche an seiner Wirbelsäule entlang. »Lass das, Gabrielle«, sagt er und schaut kurz über seine Schulter. Seine Augen glänzen. Dann dreht er sich wieder um und will weiterstapfen.
»Was soll ich lassen?«, frage ich, denn ich verstehe nicht, was er meint.
Ganz plötzlich dreht er sich um, und meine Hände liegen an seiner Brust. Er packt meine Handgelenke und hält sie auf Abstand zu seinem Körper. »Erinnere mich nicht daran, wie anders jetzt alles ist. Mit uns.«
Mit großen Augen öffne ich den Mund, aber ich weiß nicht, was ich sagen soll. Er ist so ernst und so wütend, und ich habe keine Ahnung, was los ist.
Er schüttelt mich ein bisschen, will sprechen, scheint aber keine Worte finden zu können. Und dann, ehe ich michs versehe, senkt er den Kopf, bis seine Lippen ganz nah an meinen sind. Seine Haut ist so heiß, dass es beinahe wehtut, die Hitze versengt mir die Arme.
Ich bekomme nur schwer Luft. Und ich brenne darauf, den Kopf nach vorn zu bewegen und meinen Mund auf seinen zu pressen. Ich lehne mich vor … und er weicht zurück und hält den Abstand zwischen uns.
»Ich will das – dich – so sehr«, sagt er mit zusammengebissenen Zähnen. »Ich will alles vergessen. Einfach so tun, als hätte sich nichts verändert und als könntest du mein werden, ich will davon träumen können, dass wir eines Tages zusammen sein werden.«
Seine Finger halten meine Handgelenke fest umklammert, meine Brust ist wie eingeschnürt. Er hat all die Worte gesagt, die ich immer von ihm hören wollte. Er hat gesagt, dass wir zusammen sein könnten, doch irgendwie ist das jetzt alles verkehrt, und das tut so weh.
»Ich kann doch dir gehören«, antworte ich. »Ich bin dein.«
Sein Griff wird fester, er schließt die Augen. Sein Mund streift über meine Wange, an meinem Gesicht entlang und über die Stirn. Seine Hitze entfacht etwas in mir, und ich zittere, weil ich so viel mehr von ihm will.
Ich versuche ihn an mich zu ziehen, aber er stößt mich von sich, starrt mich an. Beide schnappen wir nach Luft. Schweiß rinnt mir den Rücken hinab. Ich warte darauf, dass er etwas sagt, irgendeine Erklärung für das abgibt, was hier vorgeht. Aber er bleibt stumm.
»Catcher.« Meine Stimme ist ein Flüstern, ein Bitten, eine Frage, als ich einen Schritt auf ihn zu mache. Er hält die Hand hoch, um mich von sich fernzuhalten. Dann dreht er sich um und rennt zu den anderen. Ich mache mir nicht mal die Mühe, hinter ihm herzulaufen. Ich kann mich nicht rühren, so erschüttert bin ich, kann mich nur vorbeugen, meine Knie packen und versuchen zu atmen. Und dabei versuche ich herauszufinden, was da eben passiert ist und was ich falsch gemacht habe.
Zerschlagen fühle ich mich, wund, benommen. Die Mudo stöhnen immer noch, nur sind sie in der Dunkelheit nicht mehr zu sehen. Es
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