Das Meer in seinen Augen (German Edition)
Vorhin hatte er noch Wut in sich gespürt, als er mit Paolo hier ankam. Paolo hatte das alles nicht gewollt. Aber jetzt hatte sich die Welt ein Stück weiter gedreht und es erschien ihm als eine Art Schicksal mit Paolo hierzubleiben. Er hatte gewonnen. Und David wusste nicht mal, wie er das angestellt hatte.
»Komm mit rüber, David, bitte.« Ihre Stimme klang traurig und schwer. So wie er sich gerade fühlte.
Er dachte darüber nach, wie er sich auf Paolo gesetzt und ihn immer wieder geküsst hatte. Er fühlte wieder Paolos aufregende Körpermitte gegen seinen Hintern reiben. David hatte noch immer seine Jeans an, aber er stellte sich vor, dass er sie nachher ausziehen würde, sobald seine Eltern wieder verschwunden waren.
»Du kannst die Gedichte mitnehmen«, sagte seine Mutter flehend.
David öffnete irritiert die Augen. Woher wusste sie, dass es Gedichte waren? Er sah sie an, konnte in ihrem Gesicht aber nichts finden, dass ihn Zuneigung spüren ließ. Nein, er wollte hier bleiben und sie sollten einfach gehen. Bevor er die Augen wieder schloss, fiel sein Blick noch mal auf den Gedichtband, den Merlin wohl für ihn zu schreiben angefangen hatte. Doch er fühlte sich irgendwie nicht mehr angesprochen. Als Paolo vorhin aufgestanden war, um seinen Eltern die Tür aufzumachen, hatte sich David gelangweilt Merlins Büchlein geschnappt. Während unten der Streit zwischen Paolo und seinen Eltern im vollen Gange gewesen war, hatte er hier oben gelegen und gelauscht. Die Gedichte von Merlin vor den Augen, hatte er nichts anderes getan, als gehofft, dass seine Eltern einfach wieder verschwinden würden, damit er sich Paolo hingeben konnte. Er hatte die Gedichte vor sich gehabt, die Merlin geschrieben hatte! Und selbst jetzt fühlte er nichts dabei. Es war, als wäre Merlin aus seiner Erinnerung verschwunden. Trotzdem fühlte er sich traurig und schlecht, aber so ganz genau konnte er nicht fassen, woher dieses Gefühl kam.
Plötzlich polterten Schritte die Treppe hoch. David öffnete die Augen und sah seinen Vater in der Tür auftauchen.
»Was ist los?«, fragte er.
»Er will nicht«, sagte seine Mutter tonlos. »Er steht einfach nicht auf.«
»David!« Sein Vater brüllte ihn an. Das hatte er noch nie getan.
David richtete sich auf. »Was ist?«
»Du kommst jetzt mit rüber«, sagte Ansgar und fasste ihn am Arm.
Schlaff ließ sich David aus dem Bett ziehen. Seine Beine wollten nicht so recht stehen bleiben.
»Was ist mit dir los?«, schrie sein Vater und schüttelte ihn.
David wartete bis das Schütteln aufhörte, dann sagte er: »Ich will nicht mit zu euch.«
Seine Mutter schluchzte auf.
»Es geht nicht darum was du willst«, sagte Ansgar knapp und zerrte ihn hinter sich her. Auf der Treppe knickte David zwei mal um und wäre fast hinuntergestürzt, wenn sein Vater ihn nicht rechtzeitig an sich gerissen hätte. Als sie unten ankamen, empfing Paolo sie mit seinem typischen Lächeln.
»Sie haben ihm Drogen gegeben, nicht wahr?« Die Stimme seiner Mutter schnitt durch die Luft wei ein Pfiff.
»Nein«, sagte Paolo wahrheitsgemäß.
»Warum seid ihr immer so?«, hörte sich David fragen. Automatisch wollte er auf Paolo zugehen, doch seine Eltern hielten ihn zurück.
»Du kannst zu mir kommen wann immer du willst«, sagte Paolo an ihn gerichtet. David war über diese Worte froh. Er beschloss schnellstmöglich von diesem Angebot Gebrauch zu machen.
»Meinen Sohn werden Sie nie wieder sehen!«, platzte es aus seiner Mutter hervor.
David fühlte sich kurz schwindlig. Doch dann war es so, als ließe eine unsichtbare Macht von ihm ab und alles um ihn herum wurde mit einem Mal klar.
»Ich gehe«, sagte er laut und riss sich von seinem Vater los. Hinter sich hörte er noch die überraschten Laute seiner Eltern, doch David kümmerte sich nicht um sie. Er wollte nur noch weg von ihnen, von ihren spießigen Ansichten und Vorschriften. Im Laufschritt schoss er durch die Tür nach draußen. Als er auf die Straße kam, sah er, dass sie nicht mal die Türe ihres eigenen Hauses geschlossen hatten. Kurz überlegte er, ob er tatsächlich nach Hause laufen sollte. Da würde er sich vor einer Aussprache jedenfalls nicht drücken können. Trotzdem lief David auf die offene Türe zu. Wo hätte er auch sonst hinlaufen sollen? Er kannte niemanden hier. Aber er würde sich sofort in seinem Zimmer einsperren und heute nicht mehr herauskommen. Als er aber im Flur angekommen war, würgte er. Sein Magen boxte in kräftigen Bewegungen
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