Das Meer wird dein Leichentuch
würdest dich bei einer Séance noch mehr gruseln, wie du dich jetzt fürchtest, Danielle“, sagte der Marquis mit leichtem Spott in der Stimme. „Die beste Zeit für eine Befragung der Toten ist die Mitternacht. Mindestens fünf Personen müssen dabei sein. Eine von ihnen, das Medium, muss die innere Gabe haben, mit den Geistern Kontakt aufnehmen zu können. Denn die Unsichtbaren reden durch die Stimme des Mediums.“
„Ich habe gelesen, dass man eine Kerze anzündet und dass sich alle Teilnehmer bei den Händen fassen müssen“, sagte ich.
„Richtig!“ nickte Damian. „Das ist der Schutzkreis, der auf gar keinen Fall unterbrochen werden darf. Meist wird das Medium vom Séance-Leiter hypnotisiert, damit die Geister besser in das Bewusstsein eindringen und die Stimme benutzen können. Dann werden die Geister gebeten, Kontakt aufzunehmen und zu antworten.“
„Und das klappt immer?“ Ich sah Damian groß an.
„Nur, wenn die Geisterwesen, die unsichtbare den Raum durchschweben, es wollen“, sagte der Marquis. „Denn sie werden ja nicht gezwungen. Aber die Geister sind im Allgemeinen sehr froh, wenn sie sich den Menschen mitteilen können. In ihren Spähren der Einsamkeit müssen sie ausharren sie auf den Augenblick der Erlösung warten. Wenn sie ein helles Licht erblicken, durch das sie in die Ewigkeit eingehen können, haben sie endgültig Frieden gefunden.“
„Du redest fast so, Damian ... also, ob du die Geister der Abgeschiedenen kennst ... als ob die Spähren der Einsamkeit deine Heimat sind.“ stieß ich hervor.
„Frage nicht ... bei deiner Seligkeit ... frage nicht weiter, Danielle!“, rief Damian erschrocken. Er schien zu wissen, was ich in diesem Augenblick dachte. Er packte mich bei den Armen und schüttelte mich durch. Er tat mir weh. Doch ich fühlte es nicht. Diese Berührung, dieses Schütteln meines Körpers, kochte Dinge in mir auf, die ich bis jetzt mühsam unterdrückt hatte. Es war wie ein Erdbeben, das den Ausbruch eines Vulkans beschleunigt.
Mein klares Denken setzte aus. Ich sah Damian ganz nah vor mir. In seinem Blick lag kein Zorn, sondern Angst davor, dass ich ihn zwingen würde, sein Geheimnis zu offenbaren. Ein Geheimnis wie der Schleier im Tempel von Sais, der das Bild der ägyptischen Göttin Isis bedeckte. Und hinter diesem Schleier lag die Wahrheit. Doch niemand hatte es je gewagt, den Schleier von Sais zu heben. Nur einmal hatte ein Frevler den heiligen Schleier gelüftet. Doch der Anblick der Wahrheit verwirrte seinen Verstand und ließ sein Herz stillstehen.
War das Geheimnis, das Damian umgab, fürchterlicher als das Rätsel, das der Schleier von Sais deckte? Wollte ich es wirklich wagen, die Wahrheit über Damian de Armand zu erfahren?
„Bitte, Danielle. Bei deiner Seligkeit ... frage nicht weiter.“ stieß Damian noch einmal hervor. „Ich bin nicht sicher, ob dich die Erkenntnis über mein wahres Ich nicht ins Verderben reißt. Nur eine Frau, die mich liebt, die mich wahrhaft liebt - die erträgt das Wissen, wer ich wirklich bin.“
„Und wenn ich diese Frau wäre?“, hörte ich mich selbst sagen.
„Danielle!“ Damian ließ mich nicht los. Aber er schob mich etwas zurück. In seinen Augen lag ein Ausdruck des Erstaunens.
„Ich will mich dir offenbaren, Damian. Jetzt ... heute ... in dieser Nacht!“ Ich spürte, wie eine wilde, nie gekannte Leidenschaft mich fortriss. Dies war der Augenblick der Wahrheit. Ich brachte es nicht fertig, meine Gefühle weiter zu unterdrücken. Was ich für Damian empfand, es musste hier und jetzt ausgesprochen werden. Ich konnte einfach nicht anders.
Ja, auch wenn es Wahnsinn war. Ich, Danielle Bidois, liebte Damian de Armand. Vom ersten Augenblick an hatte ich es gewusst. Ach, und es war so schwer gewesen, ihm gegenüber die notwendige Zurückhaltung zu bewahren.
Aber damit musste es vorbei sein. Sonst würde ich verrückt. Ich musste mich diesem geheimnisvollen Mann erklären. Er sollte wissen, welche Gefühle in meinem Inneren brannten. Ich sehnte mich nach seiner Umarmung. Und mein ganzes Sehnen bebte dem Augenblick entgegen, wo sich unsere Lippen zum ersten Mal berühren würden.
„Sag es nicht, Danielle. Bitte ...!“Damian schien meine Gefühle zu erraten. Aber es war zu spät. Ich konnte nicht mehr schweigen.
„Damian. Ich ... ich liebe dich!“ brach es aus meinem Innersten heraus. Es klang fast so wie ein
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