Das Midas-Kartell
Chauffeur hatte ihn sich unter den Arm geklemmt, als wäre er leicht wie ein Federkissen, und brachte ihn über den Hof, weg von der Lagerhalle, zurück zum Auto.
»Soll ich dir vielleicht ein Eis kaufen? Was für eins?«, fragte er, als sie wieder saÃen.
Markus erwiderte nichts.
»Du hast da drin doch nichts gesehen, oder?«, fügte Don zaghaft hinzu.
Der sechsjährige Markus blickte in das zerfurchte Gesicht, das voller Besorgnis war.
»Pfefferminz mit Schoko. Ich möchte Pfefferminz mit Schoko.«
»Gut, dann kaufen wir das jetzt. Wir kaufen ein Eis für dich. Und anschlieÃend holen wir deinen Pa ab.«
Markus nickte und sah aus dem Fenster, während der Wagen anfuhr. Er hatte immer noch die Frau vor Augen. Irgendetwas an ihr hatte nicht gestimmt. Wo ihre Augen hätten sein sollen, da waren ⦠er war sich nicht sicher ⦠da waren nur dunkle Höhlen gewesen, wie schwarze Tintenkleckse auf einem Stück Papier. Und sein Vater ⦠sein Vater hatte über ihr gestanden. Markus biss sich auf die Lippe und bemühte sich mit aller Kraft, das Bild aus seinem Gehirn zu löschen, dachte an das Eis, an sein Fahrrad und die Stimme über ihm, die an sein Ohr drang.
»Bitte, Sir, wir werden in Kürze landen, Sie müssen jetzt Ihren Sitz geradestellen.«
Das war doch nicht Dons Stimme. Es war eine weibliche Stimme. Markus öffnete seine trüben Augen und hatte keine Ahnung, wo er sich befand.
»Entschuldigen Sie.« Die Stewardess sah aus, als würde sie gleich die Geduld verlieren. Sie beugte sich über ihn und drückte den Knopf an der Seite des Sitzes, sodass die Rückenlehne unsanft nach vorn schnellte. Stirnrunzelnd zog Markus die dünne Synthetikdecke von sich, in die er sich gewickelt hatte, und zuckte zusammen, da sie statisch aufgeladen war. DrauÃen erstreckte sich klarer blauer Himmel. Er blinzelte in das grelle Licht, während sich die Maschine zum Landeanflug nach vorne neigte. Auf seinem Schoà lag immer noch seine Sporttasche, deren Trageriemen er fest um sein Handgelenk gewickelt hatte.
33
Gloria nahm ein gemustertes Baumwollkleid aus dem Schrank, eine ihrer Eigenkreationen. Leuchtend wie die Sonne war es ihr buchstäblich auf den Leib geschneidert und zog die bewundernden Blicke von Männern und Frauen gleichermaÃen auf sich. Am Café an der Ecke blieb sie stehen, um sich einen Espresso zu bestellen.
Der junge Mann hinter der Theke pfiff durch die Zähne. »Wo gehst du hin, Gloria?«
»Geht dich nichts an. AuÃerdem, was würde dein Chef sagen, wenn du weiblichen Gästen hinterherpfeifst?«
»Wenn er dich sehen könnte, würde er sagen, dass er dich am liebsten begleiten würde.«
Aus dem Lagerraum drang eine barsche Stimme: Was faselt er da? Sag ihm, er soll sich lieber an den Abwasch machen .
Gloria trank ihren Kaffee in einem Zug aus und glitt vom Barhocker. »Du hast den Mann gehört, Fredo.«
Er schwang sich ein Geschirrtuch über die Schulter und wandte sich dem Spülstein zu, nicht ohne noch einmal einen Blick auf ihre Hüften zu werfen, die sanft hin- und herschwangen, als sie das Café verlieÃ.
Gloria hatte die Nacht kaum geschlafen, weil sie unablässig an das Geld und all die wundervollen Möglichkeiten, die es bot, denken musste. Sie bekam doppelt so viel wie letztes Mal und die Hälfte davon im Voraus. Es würde ein ziemlich hoher Betrag werden. Vielleicht würde sogar so viel übrig bleiben, dass sie in der leer stehenden ehemaligen Drogerie einen Laden eröffnen konnte; dann brauchte sie nur noch Stoffe und eine halbwegs anständige elektrische Nähmaschine als Ersatz für die alte handbetriebene, die ihrer GroÃmutter gehört hatte.
Die Plaza Mayor lag auf der anderen Seite des Mateo-Flores-Stadions, also nicht weit von ihrem Haus entfernt. Ein netter kleiner Spaziergang, bevor die Sonne hoch an den Himmel kletterte und unerbittlich herabbrannte. An einem Kiosk kaufte sie eine Zeitung und setzte sich im Schatten eines Kakaobaums auf eine Bank, um zu warten. Die Umgebung schien überwiegend noch im Halbschlaf zu sein. Auf der anderen Seite des Parks lag ein Stadtstreicher. Vor seiner Nase spielten zwei kleine Kinder mit einer zerknautschten Coladose FuÃball, doch der alte Mann regte sich nicht.
Das Motorrad kreiste einmal um den Platz, ehe es von hinten auf sie zu fuhr. Gloria drehte sich um und sah, wie
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