Das Midas-Kartell
ging auf sie zu.
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Alphonse Ramirez blickte aus dem Fenster seiner Gulfstream G 500. Ãber London ging die Sonne auf, und ein überirdisch anmutendes rosa Leuchten überzog den Horizont. Picasso-Rosa. Die gleiche Farbe wie in dessen berühmter Rosa Periode. Alphonse besaà zwei Werke aus dieser Zeit. Eines davon hatte er sogar auf Reisen dabei. Ein Picasso im Privatjet. Das war so leicht nicht zu überbieten, selbst Pieter Wittgenstein hatte geschluckt, als er das Bild an der Trennwand entdeckt hatte. Alphonse kaufte Kunstwerke nicht, weil irgendein schlipstragender Finanzberater sie ihm als gute Investition angepriesen hatte, sondern weil er sie liebte. Kunst â ganz gleich ob Malerei, Oper, Poesie oder Theater â war das Einzige, was ihn noch zu Tränen rühren konnte.
Er tat schon lange nicht mehr so, als würde er Gefühle empfinden wie normale Menschen; wie seine Frau, wenn sie auf die Enkel aufpasste, sein Sohn, wenn er über seine geliebte Bugatti sprach, oder der Koch, wenn er den Wachhunden Fleischbrocken zu fressen gab. Alphonse war kein Gefühlsmensch â vermutlich ebenso wenig wie Picasso einer gewesen war. Hochbegabte haben für ihre Mitmenschen wenig Raum in ihrem Leben, dazu sind sie viel zu fokussiert auf ihre Arbeit, ihre Kunst oder ihren Ruf. Während er in den Sonnenaufgang blickte, kam ihm der Gedanke, dass er auf seine Weise auch ein Künstler war. Er führte mit geschickter Hand ein erfolgreiches globales Kartell, er hatte das Exekutieren zu einer eigenen Kunstform erhoben, und er setzte die Ãngste der Menschen ebenso virtuos ein wie Picasso seine Farben. Eine Legende zu erschaffen, mit Licht und Schatten zu jonglieren, bis die Menschen seine Interessen über ihre eigenen stellten â das war die Kunst, die er beherrschte. Deshalb war er umso mehr erstaunt darüber, was ihm sein Geschäftsführer am Tag zuvor berichtet hatte.
Er hatte auf der Veranda seines Sommerhauses gesessen. Hierher zog er sich gerne zurück, weil er an diesem Ort, nur wenige Autominuten vom Haupthaus entfernt, sowohl seine Familie als auch seine Gemälde um sich hatte. Hier konnte er hören, wie die Enkel durch die Flure sausten, und den Duft der Tortillas riechen, der aus der Küche zu ihm drang. Die bewaffneten Sicherheitsleute waren von hier aus nicht zu sehen; sie patrouillierten an der AuÃenmauer des vier Quadratkilometer umfassenden Grundstücks entlang. Sämtliche Eingänge wurden von Kameras überwacht.
»Señor, ich habe eine Nachricht für Sie.«
Alphonse stellte seinen Mojito ab und blickte mit gerunzelter Stirn den Jungen an, der vor ihm stand, der fünfzehnjährige Sohn eines seiner Leutnants. Er hasste es, um diese Tageszeit gestört zu werden, und seine Leute wussten das eigentlich genau.
»Was ist?«
»Man hat mich aus dem Haupthaus hergeschickt. Sie wollten letzte Woche drei Einkäufe machen, die aber alle nicht geklappt haben. Von verschiedenen Konten aus. Bei der Bank ist niemand zu erreichen. Niemand weiÃ, was los ist.«
Alphonse Ramirez war im Nu auf den Beinen und folgte dem Jungen durch das Sommerhaus zu einem Jeep, der vor der Tür wartete. Sie fuhren die kurvige StraÃe hoch zum Haupthaus, das ganz oben auf dem Hügel lag â Ramirezâ Hauptquartier.
Das Palais war vor allem als Repräsentationsobjekt gedacht, weniger um sich dort aufzuhalten. Hin und wieder lieà er seine Angestellten dort Urlaub machen, als Belohnung für ihr Engagement. Der architektonische Entwurf lehnte sich an das Château Fontainebleau in der Nähe von Paris an. Die Kopie war nicht ganz so groÃ, bildete aber immer noch einen eindrucksvollen und irritierend extravaganten Hingucker in der Hügellandschaft. Als kleiner Junge hätte er sich nicht im Traum vorstellen können, dass er einmal in jeder Minute mehr Geld machen würde, als sein Vater im ganzen Leben verdient hatte, und dass ihm das Ausgeben ernsthafte Probleme bereiten würde. GroÃeinkäufe hinterlieÃen Spuren, eine ganze Serie von Spuren. Schon deshalb liebte er die diskrete Welt der Kunst und der Auktionshäuser, die es noch viel weniger kümmerte, woher das Geld kam, als die Banken â Hauptsache, sie erhielten ihre Provision.
Ãber die Kiesauffahrt eilte ihnen ein ernst dreinblickender Mann mit offenem Hemdkragen entgegen. »Señor Ramirez, bitte verzeihen Sie. Es ist das dritte Mal, dass ich
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