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Das Ministerium der Schmerzen (German Edition)

Das Ministerium der Schmerzen (German Edition)

Titel: Das Ministerium der Schmerzen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dubravka Ugresic
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verlegen.
    »Good luck«, sagte ich blöd und begriff, dass ich das eigentlich mehr mir selbst gewünscht hatte.

    Als Meliha hereinkam, war mir klar, dass ich meine Rolle nicht weiterspielen konnte.
    »Vergessen Sie die Prüfung, Meliha«, sagte ich.
    »Was soll das jetzt?«
    »Es ist mir unangenehm, Ihnen Prüfungsfragen zu stellen, Sie haben ohnehin die Note ›sehr gut‹ verdient«, sagte ich aufrichtig.
    Melihas Anspannung ließ nach.
    »Erst jetzt sagen Sie mir das, dabei habe ich so feste gepaukt wie nie seit meiner Studienzeit. Und fühlte mich super dabei. Ehrenwort! … Also, bleiben Sie auch das nächste Jahr?«, fragte sie.
    »Vielleicht …«
    »Wenn Sie bleiben, komme ich auch wieder!«, sagte sie fröhlich.
    Wir unterhielten uns kurz über ihre Eltern, über ihre Pläne, darüber, ob sie das Studium fortsetzen wolle.
    »Keine Ahnung, im Ernst. Ich habe mich verliebt«, verplapperte sie sich.
    »In wen?«
    »In einen Dačer!«, schoss es aus ihr heraus.
    Wir unterhielten uns auch kurz über ihren »Dačer«, einen super Typ, vernarrt in Bosnien, für eine NGO tätig, bei etwas, was mit Gewalt zu tun habe, halte sich mehr in Sarajevo auf als hier, spreche sogar Bosnisch. Möglicherweise fahre sie zu ihm, es sei eine Schande, dass ein Dačer aufkreuzen müsse, damit sie Lust bekomme zurückzukehren. Und da sei noch etwas …
    »Mein Vater ist in der letzten Zeit etwas kindisch geworden. Ständig wiederholt er: Das Leben ist nur Scherz und Ulk. Ichfrage ihn, Papa, was möchtest du frühstücken, Spiegelei oder Rührei, und er wie ein Papagei: Das Leben ist nur Scherz und Ulk. Vielleicht sollte ich allmählich doch etwas von meinem alten Herrn lernen«, sagte sie und stand auf.
    Auch ich stand auf und gab ihr die Hand. Meliha hatte schon die Türklinke gepackt, da hielt sie inne. Ein müder Schatten flog über ihr Gesicht. In dem Augenblick sah sie zehn Jahre älter aus.
    »Was ist, Meliha?«
    »Nichts. Manchmal denke ich, ich werde verrückt. Ich laufe umher, sammle Stücke von mir ein, finde da ein Bein, dort einen Arm, oh, das ist ja prima, und hier liegt auch mein verrückter Kopf. Ich freue mich jedes Mal, wenn ich ein Stück von mir finde. Dann klebe ich alles zusammen. Eine Zeit lang hält das, ich bin schon beruhigt, denke, alles ist in Ordnung, aber dann falle ich wieder auseinander und fange wieder von neuem an, setze die Teile zusammen wie ein Puzzle, bis mich wieder etwas aus der Bahn wirft«, sagte sie und öffnete die Tür.
    »Jetzt hab ich Ihnen die Bude voll gejammert. Ich muss weg, mein Dačer wartet auf mich!«
    Sie setzte ein Lächeln auf und huschte hinaus.

    Vor der Tür wartete Ana.
    »Ich bin nicht wegen der Prüfung gekommen«, sagte sie, als sie im Zimmer war.
    »Wieso das …?«
    »Es hat doch keinen Sinn. Ich habe nicht vor, mit dem Studium weiterzumachen.«
    »Wie kam es zu dieser plötzlichen Entscheidung?«
    »Ich gehe nach Belgrad zurück«, sagte sie.
    »Langsam, Mädchen. Warum wollen Sie auf einmal zurück?«
    »Geert wollte schon immer in Belgrad leben, und ich bin es hier auch leid.«
    »Werden Sie es nicht bereuen?«
    »Nein.«
    »Aber hier haben Sie doch mehrere Jahre verbracht.«
    »Das hätte ich anderswo auch getan.«
    »Sind Sie sicher, dass Sie keine Note haben möchten?«, sagte ich.
    Ana schien meine Frage überhört zu haben.
    »Ich bin nur gekommen, um mich von Ihnen zu verabschieden«, sagte sie und fragte plötzlich: »Sie sind hier alleine?«
    »Warum fragen Sie das?«
    »In der Fremde ist es viel schwerer, wenn man allein ist.«
    »Wie man’s nimmt«, sagte ich. Ich hatte keine Lust, dieses Thema zu vertiefen.
    »Wissen Sie, dazu wäre es in jedem Fall gekommen«, sagte sie.
    »Ich verstehe nicht.«
    »Ihretwegen hat unsere Gruppe zusammengehalten, obwohl Sie sich dessen nicht bewusst waren. Aber früher oder später wären wir doch auseinander gegangen.«
    »Wieso?«
    »Weil das normal ist. Am Anfang waren wir alle in einer Hochstimmung, hatten einen ›Kick‹, dachten, das Leben sei eine permanente Fete. Dann wachten wir eines Tages auf und spürten eine Leere um uns herum.«
    »Was meinen Sie mit Leere?«
    »Ich weiß nicht genau, ein hässliches Gefühl: hinter einem steht niemand, vor einem auch niemand …«
    »Aber Sie haben doch Geert.«
    »Die Holländer sind auf fremdem Territorium viel besser als zu Hause.«
    »Wie meinen Sie das?«
    »In der Fremde schwimmen sie wie Fische im Wasser, zu Hause wissen sie nichts mit sich anzufangen.«
    »Und

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