Das Ministerium der Schmerzen (German Edition)
Regal von der Wand weg, so klaffte in ihr ein großes Loch, durch das heftig der Wind blies, oder ich stellte fest, dass eine ganze Außenwand fehlte oder dass das Haus an einem zerschlissenen, fadendünnen Strick hing.
Die Parallelräume waren in meinen Träumen immer bedrohlich, sie offenbarten sich mir wie eine Fratze, wie eine feindliche Warnung. Die Träume kamen unerwartet, Windböen ähnlich, blieben dann einige Zeit aus und kamen mit erneuter Wucht wieder. Irgendwann wurden sie seltener und verschwanden dann völlig.
Mit der Zeit verknoteten sie sich zu einem Albtraumknäuel, und ich vergaß sie. Nur an einen Traum erinnere ich mich gut. Darin glich das Haus einem Labyrinth, es hatte mehrere Stockwerke und setzte sich aus verschiedenen, nicht zueinander passenden Teilen zusammen. Die Decke war hoch, eher zu einer Kirche als zu einem Haus gehörend. Plötzlich wölbte sie sich vor, und an ihr bildete sich so etwas wie ein Trichter. Schon im nächsten Augenblick riss die Decke auf, und durch den »Trichter« ergossen sich – Bücher! Zunächst rieselten sie herab wie Körner, dann wurden sie zu einer ungestümen Lawine. Einzelne Blätter flatterten umher, die Luft wurde dick vom Bücherstaub. Goran war nicht da, aber ganz hinten im Raum erblickte ich meine Mutter, sie stand wie versteinert, das Gesicht zur Decke gerichtet. Ich lief zu ihr, packte sie fest an der Hand und zog sie hinaus auf die Straße. Das Gebäude stürzte hinter uns zusammen wie ein Kartenhaus.
»Und der Schlüssel?! Wo hast du den Schlüssel?«, rief Mutter.
»Ich habe ihn nicht«, sagte ich schuldbewusst und gleichzeitig von Mutters sinnloser Sorge gerührt. Wozu brauchen wir den Schlüssel, wenn wir kein Haus mehr haben, dachte ich.
»Siehst du, jetzt haben wir nicht einmal mehr den Schlüssel«, sagte Mutter verzweifelt.
Die Wohnung von Geert und Ana bestand aus einem Schlafzimmer, einem Wohnzimmer, einer kleinen schmalen Küche mit Balkon, einem engen Flur und einem winzigen Bad. Auf einem kleinen Tisch in einer Wohnzimmerecke standen ein Fernseher und ein Haufen Videokassetten, daneben ein Blumentopf mit einem halb vertrockneten Gummibaum. An einer Wand hing ein Regal mit wenigen Büchern, an der anderen stand ein altes Sofa, dessen Bezug eine undefinierbare Schmutzfarbe hatte. Über dem Sofa hing ein vergilbtes Plakat von Dušan Petričić, ein lustiger Stadtplan von Belgrad aus jugoslawischer Zeit. Auf dem Tischchen neben dem Sofa wartete auf mich eine Liste mit Anas Hinweisen: welche Nummern anzurufen waren, wenn etwas mit dem Telefon, dem Strom oder dem Gas nicht in Ordnung sein sollte, wo sich das Hauptventil für das Wasser befand und Ähnliches. Der Teppichboden im Wohnzimmer war schmuddelig und abgewetzt, die Tapeten befanden sich in einem jämmerlichen Zustand, die Fensterscheiben waren matt. An den Fenstern hingen keine Gardinen. Auf den Rollos lag eine dicke Staubschicht.
Ohne lange zu überlegen, ging ich in das nächste Geschäft und kaufte Putzmittel, verschiedene Bürsten, Schwämme und Schaber. Ich nahm mir zuerst das Schlafzimmer vor, inspizierte alle Ecken, drehte alles um, was nicht niet- und nagelfest war, putzte die Fenster und wischte die Tür ab. Den Schrank rieb ich mit Spiritus aus, um den muffigen Geruch zu vertreiben. Die Rollos nahm ich ab und wusch sie ebenfalls mit Spiritus. Mit dem Staubsauger entfernte ich den Staub sogar von den Wänden. Dann räumte ich meine Kleider in den Schrank und bezog das Bett mit meiner sauberen Wäsche. Das Schlafzimmer war jetzt erträglich. Ein Teil des Territoriums war sauber.
Dann kam der Müll dran. Ich räumte einen ganzen Stapel alter Zeitungen, abgenutztes Küchengeschirr und Lebensmittelresteweg, nahm das vergilbte Plakat von der Wohnzimmerwand, warf Überflüssiges aus dem Badezimmer raus. Alles packte ich in Plastiksäcke, die ich neben die Wohnungstür stellte, um sie am nächsten Morgen in den Müllcontainer zu werfen. Danach scheuerte ich gründlich das Bad. Meine Kosmetika räumte ich in das Schränkchen über dem Waschbecken, und auf dieses stellte ich eine Seifenschale aus Porzellan, die ich von früher hatte. Als ich fand, dass auch das Bad einigermaßen in Ordnung war, nahm ich eine Dusche, fiel danach todmüde ins Bett und schlief durch bis zum nächsten Morgen.
Am folgenden Tag machte ich mich an die Küche. Lange und mühevoll schrubbte ich Fettkrusten von den Küchenschränken, dem Kühlschrank, dem Gasherd, den Fliesen, dem Fensterrahmen und
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