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Das Mitternachtskleid

Das Mitternachtskleid

Titel: Das Mitternachtskleid Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Terry Pratchett
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zu sinnvolleren Dingen wie Schaufeln und Messern umgearbeitet. Bloß die Eiserne Jungfrau hatte man behalten, denn sie eignete sich, bis irgendwann der Deckel abfiel, vorzüglich zum Einlagern von Steckrüben.
    Nachdem sich auf der Burg also noch nie irgendjemand sonderlich für das Verlies hatte begeistern können, war der darin befindliche Kamin allmählich in Vergessenheit geraten. Und als Tiffany einen Blick nach oben warf, sah sie hoch über sich den kleinen Flecken Blau, den ein Gefangener »Himmel« nennt, den sie selbst jedoch, komme die Dunkelheit, »Ausgang« zu nennen gedachte.
    Das Hinauskommen gestaltete sich etwas schwieriger als erhofft, weil der Kamin zu eng war, um auf dem Besen sitzend hinaufzufliegen. Deshalb musste sie sich an den Borsten festhalten und nach oben ziehen lassen, wobei sie sich mit den Stiefeln immer wieder von den Wänden abstieß.
    Wenigstens kannte sie sich hier oben aus. Wie alle Dorfkinder. Es gab wohl keinen Jungen im ganzen Kreideland, der sich nicht mit seinem eingekratzten Namen im Bleidach verewigt hatte, womöglich direkt neben seinem Vater, seinem Großvater, seinem Urgroßvater und sogar seinem Ururgroßvater, bis sich die Namen in den Ritzungen verloren.
    Da der eigentliche Sinn und Zweck einer Burg darin besteht, niemanden hereinzulassen, den man nicht drinnen haben will, hatten nur die obersten Etagen, wo die besten Zimmer lagen, Fenster. Roland bewohnte schon seit längerem die Gemächer seines Vaters – das wusste Tiffany deshalb so genau, weil sie ihm beim Umzug geholfen hatte, nachdem der alte Baron einsehen musste, dass er für das Treppensteigen zu gebrechlich geworden war. Die Herzogin hatte sich bestimmt im großen Gästezimmer einquartiert, genau zwischen Rolands Zimmer und dem Jungfernturm – der hieß tatsächlich so –, wo Lätitia schlief. Es verstand sich von selbst, dass diese Art der Unterbringung, zumindest für die Mutter der Braut, eine äußerst praktische war. Zur einen Seite das Zimmer des Bräutigams, zur anderen das der Braut, konnte sie permanent die Ohren spitzen, um jegliches Getechtel oder gar Gemechtel bereits im Ansatz zu unterbinden.
    Tiffany schlich auf Zehenspitzen durch den dunklen Korridor. Als sie Schritte die Treppe heraufkommen hörte, drückte sie sich blitzschnell in einen Alkoven. Es war eine Zofe mit einem Tablett, auf dem ein Krug stand. Dieser geriet gefährlich ins Rutschen, als plötzlich eine Tür aufflog und die Herzogin ihre grimmige Miene herausstreckte, um sich persönlich davon zu überzeugen, dass nichts Verdächtiges im Gange war. Sobald die Zofe ihren Weg fortsetzte, folgte Tiffany ihr heimlich, still und – unsichtbar. Der Wachmann, der neben Lätitias Tür saß, blickte hoffnungsfroh auf, als das Tablett an ihm vorbeischwebte, doch er erntete nur einen scharfen Anpfiff, sich sein Abendessen gefälligst selbst aus der Küche zu holen. Die Zofe trat ins Zimmer und stellte das Tablett neben dem Himmelbett ab. Als sie wieder hinausging, glaubte sie sekundenlang, ihre Augen spielten ihr einen Streich.
    Lätitia sah aus, als schliefe sie unter einer frisch gefallenen Schneedecke, ein Eindruck, der nur so lange ein malerischer war, bis man erkannte, dass es sich zum größten Teil um zerknüllte Papiertaschentücher handelte. Und noch dazu um gebrauchte! Papiertaschentücher waren eine echte Rarität im Kreideland. Wer ein solches Luxusgut sein Eigen nannte, verstieß keineswegs gegen die Etikette, wenn er es zur abermaligen Verwendung am Feuer trocknete. Tiffanys Vater behauptete immer, er hätte sich als kleiner Junge die Nase mit Mäusen putzen müssen, aber das sagte er wahrscheinlich bloß, damit sie quiekte.
    Lätitia schnäuzte sich mit einem äußerst undamenhaften Tröten und ließ ihren Blick, Tiffany glaubte es kaum, misstrauisch durch das Zimmer schweifen. Sie fragte sogar: »Hallo? Ist da wer?« – eine Frage, die, wenn man ehrlich ist, noch niemanden sonderlich weit gebracht hat.
    Tiffany duckte sich tiefer in den Schatten. Wenn sie besonders gut drauf war, gelang es ihr manchmal sogar, Oma Wetterwachs zu täuschen. Es konnte doch wohl nicht wahr sein, dass diese Prinzessin der Tränendrüsen ihre Anwesenheit erahnte!
    »Ich kann auch schreien.« Lätitia drehte forschend den Kopf hin und her. »Direkt vor meiner Tür sitzt ein Wachmann! «
    »Der ist in der Küche und holt sich sein Abendessen«, sagte Tiffany. »Was ich im Übrigen für äußerst unprofessionell halte. Er hätte warten müssen,

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