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Das Mitternachtskleid

Das Mitternachtskleid

Titel: Das Mitternachtskleid Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Terry Pratchett
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im Moment nur eine Antwort gibt: ich.«
    Sie gab sich geschlagen.
     
    Der Nebel hing dicht wie ein Vorhang über der Stadt, als Frau Prust eilig dem dunklen, düsteren Klotz des Tanty zustrebte, doch vor ihr teilten sich die Schwaden und zogen sich hinter ihr gehorsam wieder zu.
    Der Gefängnisdirektor erwartete sie bereits am Haupttor, eine Laterne in der Hand. »Sie müssen entschuldigen, Frau Prust, aber wir fanden, Sie sollten sich diese Bescherung unbedingt ansehen, bevor die Sache ihren amtlichen Gang geht. Hexen sind zwar zurzeit nicht besonders beliebt, aber Sie waren für uns schon immer Teil der Familie. Sie wissen, was ich meine. Wir erinnern uns hier noch alle gut an Ihren Herrn Vater! Was für ein Künstler! Einmal aufknüpfen – sieben ein Viertel Sekunden! Einsame Spitze. Einen wie ihn wird es nie wieder geben.« Er wurde ernst. »Und ich kann nur hoffen, dass es das, was ich Ihnen gleich zeigen muss, auch nie wieder geben wird. Wir stehen alle noch unter Schock, das können Sie mit glauben. Ich schätze, es fällt genau in Ihr Arbeitsgebiet.«
    Als Frau Prust sich im Büro des Gefängnisdirektors die Wassertropfen von ihrem Umhang schüttelte, roch sie schon die Angst, die in der Luft lag. Hinzu kam das übliche Gepolter, Geschepper und Gebrüll, an dem man sofort erkennen kann, dass es in einem Gefängnis brodelt. Wobei ein Gefängnis per definitionem eine auf engstem Raum zusammengepferchte Ansammlung von Menschen ist, in der Furcht, Hass, Sorgen, Alpträume und Gerüchte üppig ins Kraut schießen und sich den wenigen Platz streitig machen. Frau Prust hängte den Umhang an einen Nagel neben der Tür und rieb sich die Hände. »Der Bursche, den Sie nach mir geschickt haben, sagte etwas von einem Ausbruch?«
    »Trakt D«, antwortete der Direktor. »Macintosh. Sie wissen, wen ich meine? Hat seit einem Jahr bei uns gebrummt.«
    »Und ob ich mich an den erinnere«, sagte die Hexe. »Die Verhandlung musste unterbrochen werden, weil sich die Geschworenen dauernd übergeben haben. Ein besonders ungemütlicher Kunde. Aber aus Trakt D ist doch noch nie einer entkommen, oder? Sind die Fenstergitter nicht aus Stahl?«
    »Aufgebogen«, antwortete der Mann bündig. »Warten Sie, bis Sie es mit eigenen Augen gesehen haben. Regelrecht schauerlich, das Ganze. Glauben Sie mir.«
    »Ich dachte nicht, dass Macintosh so ein Muskelprotz war«, sagte die Hexe, während sie durch die feuchten Gänge eilten.
    »Eben, Frau Prust, eben. Er war ein schmächtiger, brutaler Kerl. Sollte nächste Woche hängen. Hat die Gitterstäbe einfach rausgerissen, gegen die ein Hüne mit einer Brechstange nichts ausrichten würde, und ist aus dem dritten Stock gesprungen. Das ist nicht normal, so was kann es nicht geben. Aber es kommt noch schlimmer – mein Gott, mir dreht sich schon der Magen um, wenn ich bloß daran denke.«
    Ein Wärter stand vor Macintoshs leerer Zelle. Einen Grund dafür konnte Frau Prust allerdings nicht erkennen, da der Gefangene definitiv ausgeflogen war. Der Mann tippte sich respektvoll an die Mütze, als er sie sah.
    »Guten Morgen, Frau Prust«, sagte er. »Es ist mir eine besondere Ehre, die Tochter des großartigsten Henkers aller Zeiten kennenzulernen. Einundfünfzig Jahre Dienst am Galgen und kein einziger klagender Kunde. Herr Truper, den wir jetzt haben, ist ein ganz patenter Kerl, aber manchmal zappeln sie doch noch ein bisschen, und das dürfte bei einem Profi eigentlich nicht passieren. Ihr werter Herr Vater hätte nie auf eine wohlverdiente Hinrichtung verzichtet, bloß aus Angst, dass ihn hinterher die Feuer des Bösen oder die Dämonen der Angst verfolgen könnten. Auf mein Wort, er wäre hinter denen her gewesen wie der Teufel hinter der armen Seele und hätte sie gleich mit aufgeknüpft! Sieben ein Viertel Sekunden – ein wahrer Meister!«
    Frau Prust starrte auf den Fußboden.
    »Das ist kein Anblick für eine Dame«, sagte der Wärter.
    Fast geistesabwesend antwortete sie: »Eine Hexe im Dienst ist keine Dame, Frank.« Sie schnupperte und stieß einen Fluch aus, der ihm die Tränen in die Augen trieb.
    »Da fragt man sich wirklich, was wohl in ihn gefahren ist, nicht wahr?«
    Frau Prust drückte den Rücken durch. »Ich brauche mich das nicht zu fragen, mein Junge«, sagte sie grimmig. »Ich weiß es.«
    Während sie sich auf dem schnellsten Weg zurück in die Zehntes-Ei-Straße begab, wich der Nebel vor ihr aus und drückte sich gegen die Häuserfronten, sodass sie im düsteren Halblicht

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