Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Mitternachtskleid

Das Mitternachtskleid

Titel: Das Mitternachtskleid Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Terry Pratchett
Vom Netzwerk:
Fall Zuschauer gebrauchen konnte.
    Er sah erst Amber an, dann seine Tochter. »Geht es ihr besser? Sie sieht ein bisschen … versponnen aus.«
    »Sie hat etwas zur Beruhigung und zur Stärkung bekommen«, antwortete Tiffany. »Allerdings muss sie sich noch schonen.«
    »Ihre Mutter ist ganz aufgelöst vor Sorge«, fuhr Tiffanys Vater vorwurfsvoll fort. »Aber ich habe ihr gesagt, dass du Amber an einen sicheren Ort gebracht hast und dich gut um sie kümmerst.«
    Seine unterschwellige Frage »Bei denen war sie doch wohl in Sicherheit, oder?« überhörte sie geflissentlich und sagte lediglich: »Genau.« Sie versuchte vergeblich, sich Frau Micker aufgelöst vor Sorge vorzustellen. Sie kannte die Frau eigentlich nur mit der immer gleichen dumpfen Miene, so als wäre sie den viel zu vielen Rätseln, die einem das Leben vor den Bug knallte, hilflos ausgeliefert.
    Tiffanys Vater nahm sie auf die Seite und senkte die Stimme. »Micker ist mitten in der Nacht wieder nach Hause gekommen«, flüsterte er. »Und jetzt erzählt man sich, dass irgendwer versucht haben soll, ihn umzubringen!«
    »Nein!«
    »So wahr ich hier stehe.«
    Tiffany wandte sich Amber zu. Das Mädchen starrte in den Himmel, so geduldig, als wartete es darauf, dass etwas Interessantes passieren würde.
    »Amber«, sagte sie bedächtig. »Du weißt doch bestimmt, wie man Hühner füttert, nicht wahr?«
    »Ja, Fräulein.«
    »Würdest du sie dann bitte füttern gehen? Das Korn ist in der Scheune.«
    »Deine Mutter hat sie schon vor Stunden gef…«, begann ihr Vater, doch Tiffany zog ihn rasch ein Stück mit sich.
    »Wann soll sich das denn abgespielt haben?«, fragte sie und sah hinter Amber her, die gehorsam in die Scheune trottete.
    »Irgendwann letzte Nacht. Frau Micker hat es mir erzählt. Er wurde übel zusammengeschlagen. In seiner klapprigen alten Scheune. Wo wir gestern Abend zusammengesessen haben.«
    »Frau Micker ist wieder zu ihm zurückgegangen? Nach allem, was passiert ist? Was findet sie bloß an diesem Kerl?«
    Herr Weh zuckte mit den Schultern. »Er ist ihr Mann.«
    »Aber er schlägt sie! Das weiß doch jeder.«
    Ihr Vater machte ein verlegenes Gesicht. »Nun ja«, sagte er. »Manche Frauen denken sich wohl, besser einen Taugenichts als gar keinen Mann.«
    Tiffany wollte widersprechen, doch als sie ihrem Vater in die Augen sah, wusste sie, dass er Recht hatte. Solchen Frauen war sie in den Bergen oft genug begegnet, ausgelaugt vom Kinderkriegen, geplagt von ständiger Geldnot. Bei denen, die Nanny Ogg kannten, ließ sich zwar wenigstens gegen die Kinderkriegerei etwas machen, aber man fand trotzdem genug Familien, die für einen gedeckten Tisch manchmal erst die Stühle verkaufen mussten. Dagegen konnte auch eine Hexe nichts ausrichten.
    »Herr Micker ist nicht verprügelt worden, Papa. Obwohl das womöglich keine so schlechte Idee gewesen wäre. Er hing mit einem Strick um den Hals von der Decke, und ich hab ihn runtergeschnitten.«
    »Er hat zwei gebrochene Rippen und überall blaue Flecken. «
    »Weil er tief gefallen ist, Papa – er war kurz vorm Ersticken! Was blieb mir denn anderes übrig? Hätte ich ihn baumeln lassen sollen? Er ist noch mal mit dem Leben davongekommen, auch wenn er es vielleicht nicht verdient hat! Es ist nicht meine Aufgabe, den Henker zu spielen! Da lag ein Sträußchen, Papa. Aus Unkräutern und Brennnesseln! Seine Hände waren voller Pusteln von dem Nesselgift! Es steckt noch ein Funken Gutes in ihm, verstehst du?«
    »Aber du hast das Kind gestohlen.«
    »Nein, ich habe mich mit dem Kind weg gestohlen. Versteh‘ doch, Papa. Ich habe das tote Kind begraben. Ich habe den halbtoten Mann gerettet. Das beides war ich. Es kann gut sein, dass die Leute sich irgendwelche wilden Geschichten zusammenreimen, weil sie mich nicht verstehen. Aber das ist mir egal. Man erledigt, was zu erledigen ist.«
    Sie hörten ein Glucken, und Amber stolzierte über den Hof, gefolgt von den Weh’schen Hühnern, die im Gänsemarsch hinter ihr hertrippelten. Das Glucken kam von dem Mädchen. Tiffany und ihr Vater sahen entgeistert zu, wie das Federvieh in Reih und Glied auf und ab exerzierte. Nachdem Amber die Hühner kichernd und gluckend dazu gebracht hatte, gemessenen Schrittes einmal im Kreis herumzugehen, sah sie Tiffany und Herrn Weh an, als wäre nichts Besonderes vorgefallen, und führte das Geflügel zurück in die Scheune.
    Tiffanys Vater atmete tief durch. »Ich hab mich doch da gerade nicht verguckt, oder?«
    »Nein«,

Weitere Kostenlose Bücher