Das Mörderschiff
sich ein Bootshaus, nicht breiter als die Hafeneinfahrt und ungefähr sieben Meter lang. Es war genau an die Klippenwand gebaut worden. Ein Bootshaus, in dem man ein größeres Ruderboot unterbringen konnte, nicht mehr.
Williams zog die Maschine hoch, bis wir in ungefähr siebzig Meter Höhe das Schloß überflogen. Es war in der Form eines Rechtecks erbaut, wobei die landinnere Seite fehlte. Die dem Meer zugekehrte Seite wurde von zwei Türmen mit Schießscharten beherrscht. Auf einem stand eine ungefähr sieben Meter hohe Fahnenstange mit einer Flagge, auf dem anderen eine hohe Fernsehantenne. Vom ästhetischen Standpunkt aus war der Turm mit der Fahnenstange der schönere. Überraschenderweise war die Insel nicht so unfruchtbar, wie es vom Wasser her aussah. In einiger Entfernung vom Schloß und von dort bis zur nördlichen Küste erstreckte sich ein etwa zweihundert Meter breiter Streifen, der wie eine sanfte Grasfläche aussah. Nicht daß man darauf hätte Tennis spielen können, aber auf jeden Fall war es bekömmliches Gras, denn eine Handvoll Ziegen graste mit gesenkten Köpfen darauf. Williams versuchte dort zu landen, aber der Wind war zu stark. Er landete schließlich auf der östlichen, windabgekehrten Seite des Schlosses. Nahe, aber nicht zu nahe am Ende der Klippe.
Ich stieg aus, und während ich aufmerksam die Ziegen betrachtete, ging ich landeinwärts um die Biegung auf das Schloß zu, als ich mit einem Mädchen zusammenstieß. Ich habe immer gewußt, wie ich mir ein plötzliches Zusammentreffen mit einem Mädchen auf einer abgelegenen Insel in den Hebriden vorstellte. Ein Kilt, denn selbstverständlich war ein Mädchen ohne Kilt auf den Hebriden undenkbar, dann ein wollenes Twinset und feste braune Sportschuhe, und natürlich müßte sie eine schwarzhaarige Schönheit mit wilden grünen, übermütigen Augen sein. Nur so und nicht anders konnte sie aussehen. Ihr Name mußte selbstverständlich Deirdre sein. Was ich hier traf, war ganz und gar nicht so, mit Ausnahme der Augen, die allerdings weder grün noch übermütig waren, aber auf alle Fälle wild genug aussahen. Zumindest das wenige, was ich von ihnen sehen konnte. Ihre blonden Haare waren der Mode entsprechend geschnitten. Die langen Haare zu beiden Seiten trafen sich unter dem Kinn, und kurz über den Augenbrauen schienen sie abgehackt worden zu sein. Eine Frisur, die selbst bei Windstärke eins mehr als neun Zehntel des Gesichts verdeckt. Sie trug eine blauweiß gestreifte Jerseybluse und verwaschene Blue jeans, die ihr anscheinend mit einer transportablen Nähmaschine auf den Körper genäht worden waren. Ich konnte mir nicht vorstellen, wie sie sonst in sie hineingekommen wäre. Und nackte braungebrannte Füße. Es war beruhigend zu sehen, daß der zivilisierte Einfluß des Fernsehens selbst in die entlegensten Gegenden des Imperiums vorgedrungen war.
Ich sagte: »Guten Tag, Miß …«
»Ist mit Ihrem Motor etwas nicht Ordnung?«
»Eigentlich nicht …«
»Sonst irgend etwas nicht Ordnung? Nein? Dann mache ich Sie darauf aufmerksam, daß Sie sich auf privatem Grund befinden. Ich muß Sie auffordern, weiterzufliegen. Sofort, bitte.«
Es schien hier wirklich kaum etwas für mich zu tun zu geben. Hätte sie die Hand ausgestreckt und mich mit einem freundlichen Lächeln begrüßt, dann wäre sie sofort auf meiner Liste der Verdächtigen gewesen. Aber das war genauso, wie es hier wohl üblich war. Den müden Fremden empfängt an den Toren nicht die ausgestreckte Hand, sondern es wird ihm die Faust vor die Nase gehalten. Abgesehen davon, daß sie keine Donnerbüchse in der Hand hielt und auch eine viel bessere Figur als Mr. MacEachern besaß, hatte sie viel mit ihm gemeinsam. Ich beugte mich, um ihr durch das blonde Haargewirr ins Gesicht zu sehen. Sie sah aus, als ob sie den größten Teil der Nacht und die Hälfte des Vormittags in den Weinkellern des Schlosses verbracht hätte. Ein blasses Gesicht, blasse Lippen, dunkle Ringe unter blaugrauen, aber sehr klaren Augen.
»Was, zum Teufel, ist denn los mit Ihnen?« wollte sie wissen.
»Nichts, es ist nur das Ende eines Traumes. Deirdre würde niemals so gesprochen haben. Wo ist denn Ihr alter Herr?«
»Mein alter Herr?« Das eine Auge, das ich sehen konnte, blitzte jetzt so, als ob es auf Hochspannung geschaltet worden wäre. »Meinen Sie damit meinen Vater?«
»Verzeihung, Lord Kirkside.« Es war kein Kunststück, zu ahnen, daß sie die Tochter von Lord Kirkside sein mußte.
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