Das Monopol
Haftbefehl.«
Carlton wartete, bis sie zu Ende gesprochen hatte, dann nickte er. »Ich verstehe, Euer Ehren. Aber hier ist die Erklärung dafür, warum das eben nicht möglich ist.« Er holte einen dritten Ordner aus dem Koffer. »Es ist streng geheimes Material. Nur ausgewählten Personen darf Einsicht gewährt werden.«
»Zu denen ich auch gehöre.« Alicia Kemsfield überflog die Unterlagen, dann schaute sie Carlton an. »Das geht ja bis hinauf an die Spitze!«
»Ja. Und deshalb kann ich Ihnen kein Ersuchen des Justizministers vorlegen. Oder von einem seiner Stellvertreter. Ich darf es leider auch bei keinem Generalstaatsanwalt riskieren.«
»Und es gibt noch ein schwerwiegenderes Problem.«
»Welches?«
»Den Stabschef allein könnten Sie vielleicht mit einem Haftbefehl festsetzen. Aber wenn die Regierung dermaßen von Korruption durchsetzt ist, reicht ein schlichter Haftbefehl nicht mehr aus.«
»Euer Ehren?«
»Der Fall verlangt nach einem Sonderstaatsanwalt.«
»Ein Sonderstaatsanwalt muss vom Justizminister bestimmt werden, Euer Ehren. Das ist ja Teil des Problems.«
»Oder vom Kongress.«
»Kongress?« Fast hätte Carlton laut aufgelacht. »Euer Ehren, bis der Kongress sich mit der Frage befasst, ist Fress längst in Südafrika oder Russland oder sonst wo. Wir können …«
»Ich verstehe ja, dass Sie schnell handeln wollen, und bewundere Ihren Mut, so viele Risiken einzugehen. Aber aus den genannten Gründen kann ich Ihrem Ersuchen nicht stattgeben.«
Carlton hätte gern noch weiter gedrängt, doch er wusste, es hatte keinen Sinn. »Ich verstehe.« Er stand auf und sammelte seine Ordner ein. »Vielen Dank für Ihre Zeit und Mühe. Ich nehme an, diese Unterredung bleibt unter uns?«
»Niemand sonst braucht davon zu wissen. Natürlich bleibt es unter uns.«
Als Carlton wieder vor seinem Mietwagen stand, war es bereits dunkel. Eigentlich hätte er wütend auf Richterin Kemsfield sein müssen, aber dafür war er viel zu müde. Stattdessen verfluchte er sich selbst. Wie hatte er nur so naiv sein können? Die liebe Politik. Immer ging es um Politik. Carlton hasste Politik. Warum konnten die Menschen nicht einfach das Richtige tun? Wäre das nicht einfacher als zu lügen, zu betrügen und um Nichtigkeiten zu kämpfen, wenn man sich doch wichtigeren Dingen widmen konnte?
Da Carlton hundemüde war, fuhr er langsam und konzentriert. Einige Minuten später hielt er vor dem Doubletree Hotel. Witzigerweise hatte Carlton genau hier vor vielen Jahren seinen ersten juristischen Kampf ausgefochten: die nervtötende, dreitägige Prüfung für die Zulassung zur Anwaltskammer von Kalifornien.
Carlton spielte seine Rolle weiter, checkte mit Josh Tobias’ Führerschein und Kreditkarte im Hotel ein, bestellte den Weckruf und ließ sich angezogen aufs Bett fallen.
Der Schlaf hatte ihn erfrischt. Nach ausgiebiger Dusche und Rasur zog Carlton frische Sachen an und blickte aus dem Fenster. Es war einer jener seltenen Tage, an denen Gott die Smogdecke von Los Angeles hebt, um zu sehen, ob die Stadt noch da ist, wie Larry Niven einst gesagt hatte. Einen Tag später deckt er L. A. wieder zu, weil er den Anblick der Stadt nicht ertragen kann. Im Augenblick wollte Gott die Stadt offenbar sehen, denn die Sicht war weit und klar: Im Norden schimmerten die roten und grünen Berge, im Süden die Hochhäuser von Downtown Los Angeles.
Carlton verschlang ein reichhaltiges Frühstück mit Schinken und Ei und las dabei die Titelseite der Los Angeles Times. Obwohl er aus Südkalifornien stammte, schien es eine Ewigkeit her zu sein, seit er von der sonnenverwöhnten Pazifikküste weggezogen war. Bei einigen Schlagzeilen konnte er nur den Kopf schütteln. Es war unglaublich, wie wenig diese Stadt sich um den Rest der Welt kümmerte. Stattdessen ging es in den Artikeln vorrangig um Hollywood; um die halb ausgegorenen Meinungen der Filmstars zur Politik; um ihre Vorliebe für seltsame, esoterische Kulte und ihre Scheidungen, die einem Bäumchen-wechsel-dich-Spiel glichen. Artikel über die wirkliche Welt kamen meistens erst zehn Seiten später, es sei denn, sie waren so wichtig, dass selbst Hollywood sie wahrnahm.
Ein solcher Artikel war es nun, der Carltons Aufmerksamkeit fesselte. Es ging um Thomas Daniels, einen Richter am Obersten Gerichtshof, der bald in den Ruhestand ging. In den Sechzigern war er einer der führenden Köpfe einer Gesetzesreform für die Bürgerrechte gewesen und hatte sich für den Umweltschutz stark
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