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Das Monstrum

Das Monstrum

Titel: Das Monstrum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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Haven einzukreisen, und zog einen zweiten Kreis. Er sah, dass sich das Haus von Marie und Bryant gerade noch in diesem Kreis befand. Im Westen lag der kurze Abschnitt der Nista Road, die von der Route 9 – der Derry Road – abzweigte und als Sackgasse an einer Kiesgrube am Rande dieses Waldes endete – ob man ihn nun Big Injun Woods oder Burning Woods nannte, es blieb derselbe Wald.
    Nista Road … Nista Road … etwas war mit der Nista Road, aber was? Etwas, was geschehen war, bevor er auf die Welt kam, aber einen solchen Eindruck hinterlassen hatte, dass man Jahre später noch immer darüber redete …
    Ev schloss die Augen, und es sah aus, als schliefe er im Sitzen, ein fast kahler, knochiger alter Mann in einem ordentlichen Khakihemd und ordentlicher Khakihose mit Bügelfalten.
    Einen Augenblick später fiel es ihm ein, und er fragte sich, wie er hatte so lange brauchen können, bis er darauf gekommen war. Die Clarendons. Natürlich, die Clarendons.
Sie hatten an der Kreuzung der Nista Road und der Old Derry Road gewohnt. Paul und Faith Clarendon. Faith, die so von diesem Prediger mit der zuckersüßen flinken Zunge eingenommen gewesen war und die neun Monate, nachdem der Prediger aus der Stadt verschwunden war, ein Kind mit schwarzen Haaren und zuckersüßen blauen Augen zur Welt gebracht hatte. Paul Clarendon, der das Kind, das in der Wiege lag, lange betrachtet und dann sein Rasiermesser geholt hatte …
    Ein paar Leute hatten die Köpfe geschüttelt und dem Prediger die Schuld gegeben – Colson hatte er geheißen. Behauptete er jedenfalls.
    Ein paar Leute schüttelten die Köpfe und gaben Paul Clarendon die Schuld; sie sagten, er wäre schon immer verrückt gewesen, und Faith hätte ihn nie heiraten dürfen.
    Ein paar Leute hatten natürlich auch Faith die Schuld gegeben. Ev erinnerte sich an einen alten Mann beim Barbier – das war Jahre später, aber Orte wie Haven haben ein langes Gedächtnis –, der sie »nichts als eine Nutte mit Nippeln, dazu geboren, um Ärger zu machen« genannt hatte.
    Und ein paar Leute hatten – selbstverständlich nur im Flüsterton – dem Wald die Schuld gegeben.
    Ev riss die Augen auf.
    Ja. Ja, das hatten sie. Seine Mutter hatte solche Leute unwissend und abergläubisch genannt, aber sein Vater hatte nur langsam den Kopf geschüttelt und seine Pfeife geraucht und gesagt, manchmal hätten alte Geschichten ein oder zwei Körnchen Wahrheit in sich und es wäre besser, kein Risiko einzugehen. Darum, sagte er, bekreuzigte er sich jedes Mal, wenn ihm eine schwarze Katze über den Weg lief.
    »Hmmpf!« Evs Mutter hatte verächtlich geschnaubt. Ev selbst war damals ungefähr neun Jahre alt gewesen, erinnerte er sich jetzt.

    »Und ich glaube, darum wirft deine Mutter eine Prise Salz über die Schulter, wenn sie im Keller etwas umgeworfen hat«, hatte Evs Dad sanft zu Ev gesagt.
    »Hmmpf!«, sagte sie erneut und ging hinein, um ihren Mann rauchend auf der Veranda zurückzulassen und ihren Sohn an seiner Seite, aufmerksam lauschend, während sein Vater erzählte. Ev war immer ein guter Zuhörer gewesen … nur in dem entscheidenden Augenblick nicht, als jemand so dringend einen Zuhörer gebraucht hatte, in dem unverzeihlichen Augenblick, als er sich verwirrt von Hillys Tränen hatte vertreiben lassen.
    Jetzt hörte Ev zu. Er lauschte seinen Erinnerungen … den Erinnerungen der Stadt.
    9
    Sie hatten den Wald Big Injun Woods genannt, weil der alte Chief Atlantic dort gestorben war. Die Weißen hatten ihn Chief Atlantic genannt – sein richtiger Micmac-Name war Wahwayvokah gewesen, was »am großen Wasser« bedeutet. »Chief Atlantic« war eine verächtliche Übersetzung davon. Ursprünglich hatte der Stamm den Großteil dessen bewohnt, was heute das County Penobscot war, große Gruppen hatten sich in Oldtown, Skowhegan und dem Großen Wald niedergelassen, der in Ludlow begann – in Ludlow begruben sie ihre Toten, als sie in den 1880er-Jahren von der Grippe dahingerafft wurden, anschließend zogen sie mit Wahwayvokah weiter, der sie in der Zeit ihres weiteren Niedergangs regierte. Wahwayvokah starb 1885, und er verkündete auf dem Totenbett, dass die Wälder, in die er sein sterbendes Volk geführt hatte, verflucht seien.
Das berichteten die beiden weißen Männer, die bei seinem Tod dabei gewesen waren – ein Anthropologe vom Boston College und einer von der Smithsonian Institution; sie waren auf der Suche nach Artefakten der Indianerstämme aus dem Nordosten gewesen, die rasch

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