Das Monstrum
den Bestattungsunternehmer.
»Kiefer«, sagte sie. »Den billigsten, den Sie haben.«
»Aber, Mrs. Anderson, ich bin mir sicher, Sie möchten noch einmal darüber nachdenken …«
»Ich möchte über gar nichts nachdenken«, bellte Anne. Sie konnte das warnende Pochen spüren, das den Beginn einer ihrer häufigen Migräneanfälle ankündigte. »Verkaufen Sie mir einfach die billigste Kiefernkiste, die Sie haben, damit ich mich hier verpissen kann. Es stinkt nach Tod.«
»Aber …« Der Bestattungsunternehmer war bestürzt. »Aber möchten Sie nicht wenigstens ansehen …«
»Ich werde es sehen, wenn er es anhat«, sagte Anne und zog das Scheckbuch aus der Handtasche. »Wie viel?«
9
Am nächsten Morgen funktionierte Bobbis Telefon wieder, aber es nahm niemand ab. Es nahm den ganzen Tag über niemand ab. Anne wurde immer wütender. Gegen vier, als nebenan die Trauerfeierlichkeiten bereits hohe Wogen schlugen, hatte sie die Auskunft von Maine angerufen und gesagt, dass sie mit dem Polizeirevier von Haven verbunden werden wollte.
»Nun … es gibt eigentlich kein Polizei revier dort, aber hier ist ein Constable aufgeführt. Wird das …«
»Ja. Geben Sie mir die Nummer.«
Das tat die Auskunftsmitarbeiter von Maine. Anne rief an. Das Telefon klingelte … klingelte … klingelte. Der Ton war genau derselbe wie der in dem Haus, in dem sich ihre
rückgratlose Schwester seit dreizehn Jahren versteckte. Man hätte beinahe glauben können, dass man immer denselben Apparat anwählte.
Sie spielte sogar einen Augenblick mit dem Gedanken, bevor sie ihn verwarf. Aber dass sie einem so paranoiden Gedanken auch nur einen winzigen Augenblick Unterschlupf gewährt hatte, passte so ganz und gar nicht zu ihr, und das machte sie noch wütender. Das Klingeln hörte sich gleich an, weil dieselbe beschissene kleine hinterwäldlerische Telefongesellschaft sämtliche Apparate in der Stadt verkaufte und unterhielt, das war alles.
»Hast du sie erreicht?«, fragte Paula schüchtern, als sie zur Tür kam.
»Nein. Sie nimmt nicht ab, der Stadtconstable nimmt nicht ab, ich glaube, das ganze Scheißnest ist auf die Bermudas gefahren. Mein Gott!« Sie blies sich eine Locke von der schweißnassen Stirn.
»Wenn du vielleicht einen ihrer Freunde anrufen würdest …« – »Was für Freunde? Den Irren, mit dem sie ins Bett geht?«
»Schwesterchen! Du weißt nicht …«
»Ich weiß, wer abgenommen hat, als ich durchgekommen bin«, antwortete sie grimmig. »Nachdem ich in dieser Familie groß geworden bin, erkenne ich die Stimme eines Mannes leichter, wenn er betrunken ist.«
Ihre Mutter sagte nichts, sie verfiel in zitterndes, tränenfeuchtes Schweigen, eine Hand verharrte über dem Kragen ihres schwarzen Kleides, und genau so hatte Anne sie am liebsten.
»Nein, er ist bei ihr, und sie wissen beide, dass, und aus welchem Grund, ich versuche durchzukommen, und es wird ihnen noch leidtun, mit mir diesen Scheiß versucht zu haben.«
»Schwesterchen, ich wünschte, du würdest nicht so eine Sprache …«
»Halt die Klappe!« , schrie Anne sie an, und ihre Mutter tat das natürlich.
Anne hob wieder den Hörer ab. Diesmal wählte sie die Nummer der Auskunft und verlangte dann die Nummer des Bürgermeisters von Haven. Sie hatten auch keinen Bürgermeister, sondern nur etwas, was sich Stadtverordneter nannte, was immer das für ein Kack sein mochte.
Gedämpftes, leises Klicken, wie Rattenkrallen auf Glas, während das Fräulein vom Amt die Nummer auf ihrem Computerbildschirm suchte. Ihre Mutter war geflohen. Aus dem Nebenzimmer drang das überlaute, theatralische aufgeblasene Schluchzen irischer Trauer. Wie eine V 2-Rakete, dachte Anne, wurde auch die irische Totenwache von Flüssigtreibstoff angetrieben, und die Flüssigkeit war in beiden Fällen dieselbe. Anne machte die Augen zu. Ihr Kopf dröhnte. Sie knirschte mit den Zähnen – das erzeugte einen bitteren, metallischen Geschmack. Sie schloss die Augen und stellte sich vor, wie gut, wie herrlich es sein würde, an Bobbis Gesicht einen kleinen chirurgischen Eingriff mit den Fingernägeln vorzunehmen.
»Sind Sie noch da, Schätzchen?«, fragte sie, ohne die Augen zu öffnen, »oder sind Sie ganz plötzlich aufs Klo gegangen? «
»Ja, ich habe eine N…«
»Geben Sie sie mir.«
Das Fräulein vom Amt war verschwunden. Eine Maschine rezitierte eine Nummer in seltsam abgehackten Kadenzen. Anne wählte sie. Sie erwartete, dass sie keine Antwort erhalten würde, aber das Telefon wurde
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