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Das Morden ist des Mörders Lust. Geschichten.

Titel: Das Morden ist des Mörders Lust. Geschichten. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Slesar
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Er lockerte seinen Griff um Hueys Arm, und dann stieß er Huey von sich. Er starrte noch auf das Mes­ser in seiner Hand, als Huey schon zu seinem Auto rannte. Dann, als der Motor aufheulte, warf Johnny das Messer ins Gebüsch und blickte ihm nach.
    Wie im Traum stieg er wieder ins Auto. Erika setzte sich ans Steuer, fuhr aber nicht los. »Johnny«, flüsterte sie.
    Er bedeckte seine Augen mit den Händen.
    »Ich war im Begriff, ihn umzubringen«, sagte er.
    »Aber nein. Nicht im Ernst.«
    »Ich wollte ihn umbringen. So wie all die andern.«
    Sie zuckte zurück. »Die anderen?«
    Er konnte sie nicht ansehen.
    »Es waren vier. Ich habe sie alle getötet. Frag mich nicht, warum, Erika, ich weiß es nicht. Aber ich habe sie getötet, alle vier. Ich habe dich angelogen«, sagte Johnny. »Mein Name ist nicht Johnny Brennan, sondern Johnny
    Bree. Zumindest wurde ich so genannt. Ich erzählte dir, ich hätte gerade meine Arbeit auf einer Farm aufgegeben. Das war nur zur Hälfte die Wahrheit. Ich habe schon auf einer Farm gearbeitet, aber nicht die Art Farm, an die du denkst. Sondern das war ein Betrieb, wo die Nahrungsmit­tel für die Gefangenen angebaut werden.«
    »Ich wußte noch nicht einmal, daß es hier in der Nähe ein Gefängnis gibt.«
    »Es wird auch nicht so genannt. Man hat dafür besser klingende Namen. Ich bin kein gewöhnlicher Verbrecher, Erika, ich bin einer von diesen psychiatrischen Fällen, von denen man immer hört. Na, wie fühlst du dich da­bei?« Er sah sie anklagend an. »Wann fängst du an zu schreien?«
    »Ich werde nicht schreien, Johnny.«
    »Hast du keine Angst? Ich bin ein Verrückter. Ein gei­steskranker Verbrecher. Wenn ich den Kopf verliere, dann müssen Menschen sterben. So wie dein Freund da.«
    »Aber du hast ihn laufen lassen. Ihm ist nichts passiert.«
    »Sicher«, sagte er bitter. »Ich mache Fortschritte. Des­wegen haben sie mir auch getraut und mich in dem Farm­lager arbeiten lassen. Ich war ja so artig gewesen. Wäh­rend der ersten paar Jahre, da war das anders. Ich kann mich nicht daran erinnern, wann ich dort hingekommen bin und was ich da gemacht habe. Es war, als ob ich dort zur Welt gekommen wäre, ein neugeborenes Baby. Dann – frag mich nicht wie – fing der Nebel an, sich zu lichten. Ich erkannte Gesichter wieder, wenn ich sie zum zwei­tenmal sah. Ich lernte, selbständig zu essen, mich anzuzie­hen, mich wie ein vernünftiges menschliches Wesen zu verhalten. An die Vergangenheit konnte ich mich kaum erinnern, aber in der Gegenwart konnte ich mich ganz gut zurechtfinden. Was die Zukunft betrifft …« »Man kann sich dort wegen deiner Zukunft keine Sorgen gemacht haben, sonst hätte man dich nicht gehen lassen.«
    Er sagte nichts, nur die Geräusche der Nacht waren zu hören.
    »Aber warum warst du dort, Johnny? Weißt du das?«
    »Das ist das einzige, was ich sicher weiß. Das einzige, woran ich mich genau erinnern kann. Aus irgendeinem Grund habe ich vier Männer getötet. Ich konnte mir nicht helfen, ich mußte es einfach tun. Es war wie ein unkon­trollierbarer innerer Zwang. Ich kann mich weder an ihre Namen, noch an ihre Gesichter erinnern, noch wo es ge­schah. Aber wie ich es getan habe, das weiß ich noch ganz genau.«
    Er schloß die Augen.
    »Den einen tötete ich mit einem Messer – genauso, wie ich fast Huey Brockton umgebracht hätte.«
    Unwillkürlich hielt Erika den Atem an. Er merkte es nicht.
    »Einen weiteren habe ich erwürgt. Die anderen beiden habe ich erschossen.«
    Er wandte ihr sein Gesicht zu, und die Verzweiflung, die sie dort sah, schien sie mehr zu ängstigen als sein Ge­ständnis. Sie wich vor ihm zurück.
    »Ich kann es nicht glauben«, sagte sie. »Es muß irgend­eine Art von Wahnvorstellung gewesen sein …«
    »Nein«, sagte er hart. »Ich weiß zwar nicht viel über mich selbst, aber das weiß ich. Es war keine Wahnidee. Es war Mord.«
    Er sah, daß sie jetzt schreien würde. Aber sie hatte den Schrei zu lange unterdrückt, inzwischen war es mehr ein Wimmern, ein Klagelaut eher als ein Ausdruck des Ent­setzens.
    Er stieg aus. Sie versuchte nicht, ihn zurückzuhalten, und er wollte das auch gar nicht. Er ging in entgegengesetzter Richtung davon.
    Als das Kabrio nur noch ein entfernter Punkt war, hörte er das Brummen seines Motors – und dann war es ver­schwunden.
    Eine Stunde später befand er sich am Busbahnhof von Point Placid. Der Fahrplan hielt eine Enttäuschung für ihn bereit. Der nächste Bus fuhr erst Sonntagmorgen

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