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Das Morden ist des Mörders Lust. Geschichten.

Titel: Das Morden ist des Mörders Lust. Geschichten. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Slesar
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Ausgabezettel durchzugehen. Es würde noch eine Woche dauern, ehe er von seinem neuen System profitieren konnte, und so lagen zwei gute Stunden Arbeit vor ihm. Plötzlich kamen ihm Zweifel. Würde es eine wei­tere Woche überhaupt geben? Oder würde die Aktionärs­versammlung, die für Montag angesetzt war, seinem neu­en Leben ein Ende bereiten?
    Howard Brockton. Er sprach den Namen laut aus und dachte auf einmal daran, daß er diesen Mann noch niemals gesehen hatte, der der Fabrik und dem Haus Lacy soviel Kummer bereitete.
    Er beugte sich über seine Arbeit und blickte erst um acht Uhr fünfzehn wieder auf.
    Auf seinem Weg hinaus nahm er eine Abkürzung durch das Verwaltungsgebäude, um zum Haupttor zu gelangen.
    Am Ende eines langen Korridors, an dem die Büros der leitenden Angestellten lagen, stand eine Tür halb offen, und Licht fiel auf den gebohnerten Fußboden. Hier machte auch jemand Überstunden.
    Als er nahe herankam, sah er den Namen Howard Brockton auf dem Schild an der Wand. Wenn er langsam genug vorbeiginge, könnte er direkt einen Blick auf das Ungeheuer in seiner Höhle werfen.
    Was er sah, bestürzte ihn. Der Mann saß hinter einem großen Eichenschreibtisch, aber sein Kopf lag auf der
    Schreibunterlage. Die Schreibtischlampe ließ seine Glatze schimmern und warf ein Schlaglicht auf den runden Fleck, der sich um sein Kinn herum ausbreitete.
    Johnny trat ein und sagte: »Mr. Brockton?«
    Er berührte den Mann an der Schulter, aber als er die Far­be des Fleckes sah, wußte er, daß jener nicht mehr antwor­ten konnte. Er schob ihn in den Sessel zurück – der Mann war tot. Die linke Seite seines Schädels war zerschmettert, seine Wange aufgeplatzt wie eine reife Melone, das Blut auf seinem Gesicht noch feucht. Er war ein Mann mit un­bedeutenden Gesichtszügen und farblosen Augen. Jede Grausamkeit oder Berechnung, die sein Gesichtsausdruck gezeigt haben mochte, hatte der Tod hinweggewischt.
    Dann hörte Johnny das Schlüsselrasseln und die schwe­ren Schritte des Nachtwächters näher kommen, und er be­griff das Entsetzliche der Situation.
    Wenn man ihn hier im Büro fände, wie könnte er seine Anwesenheit erklären? Wie sollte er die Fragen beantwor­ten, die kommen mußten? Wer er sei. Wo er herkomme. Wie sein richtiger Name sei. Warum man ihn angestellt habe. Und seine Antworten. Ich bin Johnny Bree. Ich bin ein Mörder. Ich bin aus einer Anstalt für geistesgestörte Kriminelle ausgebrochen. Und ich bin unschuldig, un­schuldig!
    Die Schritte des Nachtwächters verhielten vor der Tür. Seine Hand lag auf dem Griff.
    »Mr. Brockton?«
    Johnnys einzige Chance, freizukommen, lag in einem Überrumpelungsangriff. Er machte einen Satz auf den Wächter zu, aber dessen Reflexe waren gut. Es gelang ihm, Johnny am Arm zu packen. Dieser schlug mit der rechten Faust wild um sich, riß sich los und lief den Korri­dor hinunter. Auch der Warnruf hielt ihn nicht auf.
    »Halt! Halt! Oder ich muß schießen!«
    Am Ende des Korridors rutschte er die letzten Zentime­ter auf dem glatten Boden bis zur Eingangstür, riß sie auf und war im Hof. Er erreichte das unbewachte Tor, ehe der Nachtwächter ihn daran hindern konnte. Doch obwohl er zunächst durchgekommen war, wußte er, daß ihm das Schlimmste noch bevorstand, wenn der Wächter erst he­rausfand, was da in Howard Brocktons Büro zurückgelas­sen worden war.
    Er bestieg ein Taxi und nannte die Adresse der Lacys, ohne daß er gewußt hätte, ob er Erika oder seinen Chef überhaupt sehen wollte. Dann entdeckte er, daß er in ei­nem Funk-Taxi saß, das jederzeit für die Polizei erreichbar war. Wenn sie schon hinter ihm her waren, könnte die ge­langweilte, näselnde Stimme aus der Taxizentrale jederzeit unterbrochen werden: An alle Fahrer ... Halten Sie Aus­schau nach ...
    Aber die Durchsage blieb aus. Sie erklommen die Stei­gung von Sycamore Hills, und er erreichte unbehelligt das Haus der Lacys.
    Auf sein Klingeln machte Erika selbst auf. Sie trug ein schwarzes Kleid, das nicht ganz zugeknöpft war.
    »Johnny ...«
    »Ich muß mit dir reden, Erika. Läßt du mich rein?«
    Er wartete die Antwort nicht ab, sondern trat ein und schloß schnell die Tür.
    »Ist dein Onkel zu Hause?«
    »Nein, er ist in seinem Klub. Was ist los, Johnny?«
    »Ich muß dir etwas sagen. Ich wollte es auch deinem Onkel sagen. Es handelt sich um Brockton.«
    »Howard Brockton?«
    »Er ist tot, Erika. Man hat ihn umgebracht.«
    Sie preßte die Faust vor den Mund.
    »Das darfst

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