Das Morden ist des Mörders Lust. Geschichten.
eine Glatze zu bekommen, und seine Gesichtszüge waren melancholisch. Er schüttelte David ernst die Hand. »Tut mir leid, daß wir uns auf diese Weise kennenlernen«, sagte er. »Aber ich lerne Menschen, wie’s scheint, immer nur kennen, wenn sie Ärger haben. Natürlich kenne ich Mrs. Demerest schon lange.«
»Lieutenant Reese ist mir bei meiner Wohltätigkeitsarbeit eine große Hilfe gewesen«, sagte Tante Faith. »Und ein großer Trost, seit ... dieser schrecklichen Geschichte.«
David sah sich im Zimmer um. »Ich war schon Jahre nicht mehr hier. Ob ich wohl noch weiß, wo die Getränke verwahrt werden?«
»Ich fürchte, es gibt keine«, sagte Reese. »Es waren jedenfalls keine da, als wir vor ein paar Wochen das Haus durchsuchten, nachdem Miss Wheeler verschwunden war.«
Einen Augenblick lang herrschte Schweigen. David durchbrach es mit den Worten: »Schön, ich habe eine Flasche im Auto.«
»Nicht jetzt, Mr. Wheeler. Ich wäre Ihnen vielmehr sehr verbunden, wenn wir uns kurz unter vier Augen unterhalten könnten.«
Tante Faith trat zu Rowena. »Passen Sie auf, wir gehen mal nach oben, und ich zeige Ihnen Ihr Zimmer.«
»Das wäre schön«, sagte Rowena.
»Ich kann Ihnen sogar das Zimmer zeigen, in dem David geboren wurde. Und sein altes Kinderzimmer. Möchten Sie die Zimmer sehen?«
»Das wäre hübsch«, sagte Rowena flach.
Als sie allein waren, sagte Reese: »Wann sind Sie aus Medvale fortgezogen, Mr. Wheeler?«
»Oh, vor vielleicht zehn Jahren. Natürlich bin ich gelegentlich zu Besuch hergekommen. Etwa, als mein Vater starb, vor vier Jahren. Wie Sie wissen, hat die Familie ihr Geschäft unten im Süden.«
»Ja, ich weiß. Sie und Ihre Schwester …«
»Meine Halbschwester.«
»Ja«, sagte Reese. »Sie und Ihre Halbschwester sind Alleineigentümer der Spinnerei, nicht wahr?«
»Das ist richtig.«
»Aber weitgehend haben Sie das Unternehmen geführt, nehme ich an. Nach dem Tode Ihrer Eltern behielt Miss Wheeler den Besitz hier, und Sie gingen nach Virginia und leiteten die Firma. So war’s doch, oder?«
»Genauso war’s«, sagte David.
»Würden Sie sagen erfolgreich?«
David saß in einem Ohrensessel und streckte seine langen Beine von sich. »Lieutenant, ich werde Ihnen viel Zeit ersparen. Geraldine und ich vertrugen uns nicht. Wir sahen uns so wenig, wie wir beide es nur immer einrichten konnten, und das heißt sehr wenig.«
Reese räusperte sich. »Danke, daß Sie so offen sind.«
»Ich kann sogar Ihre nächste Frage erraten, Lieutenant. Sie möchten jetzt gern wissen, wann ich Geraldine zum letzten Mal gesehen habe.«
»Wann war das?«
»Vor drei Monaten, in Virginia. Bei ihrem halbjährlichen Besuch in der Spinnerei.«
»Aber Sie waren doch danach noch mal in Medvale, oder nicht?«
»Ja, ich kam im März her, um mit Geraldine über eine wichtige Sache zu sprechen. Wie Ihnen meine Tante wahrscheinlich gesagt hat, weigerte sich Geraldine damals, mit mir zu reden.«
»Was war der Anlaß zu diesem Besuch?«
»Ein rein geschäftlicher. Geraldine sollte einem Kredit zustimmen, den ich aufnehmen wollte, um neue Maschinen zu kaufen. Sie war dagegen und wollte nicht einmal darüber diskutieren. Deshalb fuhr ich nach Virginia zurück.«
»Und Sie haben sie dann nie wieder gesehen?«
»Nie wieder«, sagte David. Er lächelte, er lächelte einnehmend und erhob sich. »Es ist mir gleichgültig, ob Sie Abstinenzler sind wie meine Tante, Lieutenant, aber ich für meinen Teil brauche einen Schluck.«
Er ging in Richtung Eingangshalle, blieb dann aber an der Tür stehen. »Falls Sie sich das fragen«, sagte er leichthin, »ich habe keine Ahnung, wo Geraldine steckt, Lieutenant. Nicht die geringste Ahnung.«
Rowena und Tante Faith kamen erst nach einer Stunde wieder herunter, als der Lieutenant schon gegangen war. Tante Faith sah aus, als wenn sie geschlafen hätte; Rowe- na hatte sich umgezogen und trug nun einen Pullover und einen grauen Rock. Im Wohnzimmer fanden sie David, eine halb geleerte Flasche Whisky und ein verlöschendes Feuer.
»Nun?« sagte Tante Faith. »Wurde er sehr lästig?«
»Überhaupt nicht«, sagte David. »Du siehst bezaubernd aus, Rowena.«
»Ich hätte gern was zu trinken, David.«
»Ja, natürlich.« Er schenkte ihr einen Whisky ein und zog Tante Faith mit ihrer Abstinenz auf. Ihr schien das nichts auszumachen. Sie wollte reden – über Geraldine.
»Ich kann es einfach nicht begreifen«, sagte sie. »Niemand kann das, die
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