Das Morden ist des Mörders Lust. Geschichten.
ließ ihr Handgelenk los. Sie rieb es wehleidig, lachte dann aber und fand, daß das alles lustig war. Plötzlich warf sie sich an seinen Hals und küßte ihn auf den Mund, wobei sie ihn mit ihren dünnen, starken Fingern krampfhaft festhielt.
Er stieß sie überrascht zurück. »Was glaubst du, was das werden soll?« sagte er grob. »Du dumme Göre.«
»Ich bin kein Kind mehr!« sagte sie. »Ich bin fast siebzehn!«
»Du warst vor drei Monaten noch sechzehn!«
»Ich bin eine Frau!« kreischte Iris. »Aber du bist ja gar kein richtiger Mann.« Sie schlug ihm die geballte Faust gegen die Brust, daß ihm die Luft wegblieb. Dann drehte sie sich um und rannte den Hügel hinab zum Haus.
Er kehrte über den rückwärtigen Teil des Grundstücks nach Hause zurück und trat in die Küche. Am Küchentisch gab Tante Faith gerade Hattie ein paar Anweisungen zum Silberputzen. Sie blickte auf und sagte: »Hast du ein Taxi bestellt, David?«
»Ein Taxi? Nein, wieso?«
»Ich weiß es nicht. Aber das Taxi von Lucas steht draußen in der Auffahrt; er sagte, er wolle auf dich warten.«
Lucas kletterte aus dem Taxi, als er David kommen sah. Er zog die Strickmütze vom Kopf und drückte sie gegen seinen Bauch.
»Was willst du, Lucas?«
»Reden, Mr. Wheeler, wie ich schon letzte Woche sagte.«
David nahm auf dem Rücksitz Platz. »Na schön«, sagte er. »Fahr irgendwo hin. Wir können reden, während du fährst.«
»Ja, Sir.«
Lucas schwieg, bis sie außer Sichtweite des Hauses waren; dann sagte er: »Ich hab getan, was Sie mir aufgetragen haben, Mr. Wheeler, genau wie Sie’s gesagt haben. Ich hab ihr sauber eins verpaßt, ’s hat ihr nich wehgetan, kein Blut. Ging zu Boden grad wien alter Schlachtochse, Mr. Wheeler.«
»Gut«, sagte David schroff. »Ich will nichts mehr davon hören, Lucas, für mich ist die Sache erledigt. Das sollte sie für dich auch sein. Du hast dein Geld bekommen, vergiß das alles.«
»Ich hab sie aufgehoben«, sagte Lucas träumerisch. »Ich hab sie raus in den Wald gebracht, wie Sie’s gesagt haben, und ich hab tief gegraben, so tief ich konnte. Der Boden war damals schrecklich hart, Mr. Wheeler, es war ne Menge Arbeit. Ich hab’s nachher schön zugedeckt, damit niemand drauf kommen könnte, was da wär. Niemand … außer …«
»Ist es das Mädchen? Ist es das, was dir Kummer macht?«
»Ich hab furchtbar komische Sachen über sie gehört, Mr. Wheeler. Wie sie Sachen wiederfindet, so wie sie das kleine Kind wiedergefunden hat, das beim Crompton Lake abgestürzt war. Sie hat komische Augen. Vielleicht kann sie direkt bis in das Grab von der Frau reinsehen …«
»Halt an, Lucas!«
Lucas stellte seinen schweren Fuß auf die Bremse.
»Iris Lloyd wird sie nicht finden«, sagte David mit zusammengebissenen Zähnen. »Niemand wird sie finden, du mußt aufhören, dir Gedanken darüber zu machen. Je mehr du das tust, desto eher verrätst du dich.«
»Aber sie liegt direkt hinter’m Haus, Mr. Wheeler! Sie ist so nah, direkt da in dem Wäldchen …«
»Du mußt es vergessen, Lucas. Als wenn es nie geschehen wäre. Meine Schwester ist verschwunden, und sie wird niemals wiederkommen. Was das Mädchen angeht, das laß nur meine Sorge sein.«
Er faßte Lucas an der Schulter, was als Geste der Beruhigung gemeint war – aber seine Berührung ließ Lucas erstarren.
»Fahr mich jetzt nach Hause«, sagte David.
Fünf weitere Tage lang machte er sich Sorgen wegen Iris, aber sie schien den Zweck ihres Aufenthaltes bei ihnen völlig vergessen zu haben. Sie war Hausgast, Ersatz für die vermißte Geraldine, und die Geduld, mit der Tante Faith auf das mediale Wunder wartete, schien unerschöpflich.
Am Abend des folgenden Donnerstags begegnete Rowenas Blick dem Davids im Spiegel des Toilettentischchens in ihrem Schlafzimmer, und sie fing an, etwas über die Spinnerei zu sagen.
»Halt die Klappe«, sagte er heiser. »Sag kein Wort mehr. Ich habe herausgefunden, daß Iris jeden miesen kleinen Streit in diesem Zimmer mit anhören kann, deshalb sollten wir einen Waffenstillstand schließen.«
»Sie braucht doch gar nicht zu lauschen, oder? Sie kann ja Gedanken lesen?« Sie drehte sich um und sah ihn direkt an. »Sie ist aber nicht die einzige Hellseherin hier. Ich kann ihre Gedanken auch lesen.«
»Oh?«
»Das ist nicht schwer«, sagte Rowena bitter. »Ich kann jeden sündhaften Gedanken in ihrem Kopf lesen, jedesmal, wenn sie dich anschaut. Es überrascht mich, daß du das nicht
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