Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Das Morden ist des Mörders Lust. Geschichten.

Titel: Das Morden ist des Mörders Lust. Geschichten. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Slesar
Vom Netzwerk:
doch, daß man einen Schlafwandler nicht wecken darf, du weißt das doch ganz genau!«
    »Ich wollte nicht, daß sich das Mädchen den Tod holt! Da hätten wir eine schöne Geschichte, die wir den Schwe­stern erzählen könnten, nicht wahr, Tantchen? Daß wir ihre Kleine an Lungenentzündung haben sterben lassen?«
    Iris hatte sich beruhigt, hielt aber immer noch die Ar­me schützend um ihren Kopf gelegt. Jetzt blickte sie auf und forschte in ihren angespannten Gesichtern. »Tante Faith ...«
    »Ist alles in Ordnung, Iris?«
    Noch immer war in ihren runden Augen etwas von dem abwesenden Blick der Schlafwandlerin. »Ja«, sagte sie. »Ja, ich bin in Ordnung. Ich glaube, ich bin jetzt bereit, Tante Faith. Ich kann es jetzt tun.«
    »Jetzt tun? Du meinst … uns sagen, wo Geraldine ist?«
    »Ich kann’s versuchen, Tante Faith.«
    Die alte Frau richtete sich auf, ihr Verhalten war verän­dert.
    »Wir müssen Lieutenant Reese herbitten, David. Sofort. Er wird alles mit anhören wollen, was Iris sagt.«
    »Reese? Es ist nach zwei Uhr nachts.«
    »Er wird kommen«, sagte Tante Faith grimmig. »Ich weiß es. Ich werde ihn selbst anrufen; bring du Iris auf ihr Zimmer.«
    David half dem Mädchen die Treppe hinauf. Er runzelte die Stirn, weil sie sich so eng an ihn schmiegte. Sie war lammfromm. Mit geschlossenen Augen sank sie aufs Bett. Dann öffnete sie die Augen wieder und lächelte ihn an. »Du hast Angst«, sagte sie.
    Er schluckte mühsam, denn sie hatte recht. »Ich schick dich zurück«, sagte er rauh. »Ich behalte dich keinen Tag länger hier im Haus. Du machst mehr Ärger als du wert bist, wie Schwester Klothilde gesagt hat.«
    »Ist das der Grund, David?«
    Sie begann zu lachen. Ihr Lachen ärgerte ihn, und er setzte sich zu ihr und legte die Hand über ihren Mund.
    »Sei still!« sagte er. »Sei still, du kleine Närrin!«
    Sie hörte auf zu lachen. Über die Finger seiner Hand hinweg drang ihr Blick in seine Augen. Er nahm seinen Arm herunter.
    Iris beugte sich zu ihm. »David«, sagte sie voller Sinn­lichkeit, »ich werde dich nicht verraten. Nicht, wenn du es nicht willst.«
    »Du weißt nicht, wovon du sprichst«, sagte er unsicher. »Du bist eine Betrügerin.«
    »Bin ich das? Das glaubst du doch selber nicht.«
    Sie beugte sich noch näher zu ihm. Er ergriff sie mit bru­taler Plötzlichkeit und küßte sie. Sie schmiegte sich stöh­nend an ihn, und ihre dünnen Finger zupften am Aufschlag seines Bademantels.
    Als sich ihre Lippen trennten, wischte er sich angeekelt den Mund und sagte: »Aus welchem Teil der Hölle kommst du bloß?«
    »David«, sagte sie verträumt, »du wirst mich von diesem Ort da wegholen, ja? Du wirst mich nicht wieder dahin zurückgehen lassen, nicht wahr?« »Du bist verrückt! Du weißt doch, daß ich verheiratet bin …«
    »Das macht doch nichts. Du kannst dich von der Frau scheiden lassen, David. Du liebst sie doch sowieso nicht mehr, oder?«
    Die Tür ging auf. Eine gebieterische Erscheinung in ih­rem Nachthemd, sah Rowena sie mit einer Mischung aus Zorn und Verachtung an.
    »Raus hier!« kreischte Iris. »Raus aus meinem Zim­mer!«
    David wandte sich zu ihr. »Rowena …«
    Seine Frau sagte: »Ich bin nur herübergekommen, weil ich dir etwas sagen wollte, David. Du hattest recht mit den Wänden zwischen diesen Zimmern.«
    »Ich hasse Sie!« schrie Iris. »David haßt Sie auch! Sag’s ihr, David. Warum sagst du’s ihr nicht?«
    »Ja«, sagte Rowena. »Warum nicht, David? Das ist das einzige, was du bisher noch nicht getan hast.«
    Sein Blick wanderte zwischen den beiden Frauen hin und her – zwischen dem glutäugigen Mädchen in dem schweren Flanellnachthemd und der kühl blickenden Frau in Seide, die auf eine Antwort wartete und verletzt werden wollte.
    »Zum Teufel mit euch beiden!« murmelte er. Dann stürmte er an Rowena vorbei aus dem Zimmer.
    Lieutenant Reese schien noch immer halb zu schlafen; die vereinzelten Haare auf seinem kahl werdenden Schädel waren zerzaust, und seine Kleidung sah ganz so aus, als sei sie sehr hastig angelegt worden. Rowena, die immer noch ihre Nachtsachen anhatte, saß offensichtlich desin­teressiert am Fenster. Tante Faith kniete am Kamin und entlockte der Glutasche neue Flammen.
    Iris saß im Ohrensessel, die Hände im Schoß gefaltet. Ihr Gesichtsausdruck war rätselhaft.
    Als das Feuer aufflammte, sagte Tante Faith: »Wir kön­nen anfangen. David, würdest du bitte das Licht ausma­chen.«
    David nahm sich einen Drink, bevor er das

Weitere Kostenlose Bücher