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Das Morden ist des Mörders Lust. Geschichten.

Titel: Das Morden ist des Mörders Lust. Geschichten. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Slesar
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verhängnisvolle, othellohafte Schwachstelle zeigte sich erst eine ganze Zeit später.
    Audrey, die Amateurpsychologin, war es, die die Sym­ptome zuerst erkannte und sie mir eines Abends beschrieb, nachdem wir mit den Blackburns zusammen im Theater gewesen waren.
    »Du mußt das doch bemerkt haben«, sagte sie, während sie versuchte, einen Lockenwickler mit den Zähnen zu öffnen. »Ich meine, wie er sie die ganze Zeit ansieht. Ich habe noch nie in meinem Leben einen Mann so eifersüch­tig dreinblicken sehen.«
    »Eifersüchtig?« sagte ich. »Nun ja, das kannst du dem Mann vielleicht nicht verübeln. Leona ist wirklich sehr sexy.« Ich dachte, Audrey würde bei dieser Bemerkung hochgehen, aber sie sah nur nachdenklich vor sich hin.
    »Ja, das stimmt wohl. Sie sah schon immer sexy aus, selbst als sie noch zur Schule ging. Wahrscheinlich können Männer gar nicht anders, als ein Mädchen wie Leona anzusehen, aber es bringt Charlie mit Sicherheit um den Verstand.«
    »Jetzt übertreibst du«, sagte ich. Doch als wir das näch­ste Mal mit den Blackburns zusammen waren, riß ich mei­nen Blick von Leonas bemerkenswerten Proportionen los und beobachtete Charlies Gesicht. Es bestand kein Zweifel
    er bedachte jeden Mann, der zufällig in Leonas Richtung sah, mit einer leise kochenden Wut, die unter der Oberflä­che vermutlich vulkanische Ausmaße hatte.
    Dann, eines Abends, nach einem reizenden Abendessen zu Hause bei den Blackburns in Connecticut, ließ Charlie ein wenig heiße Lava heraustreten. Wir waren gerade mit unserem Kaffee fertig, und die Frauen hatten sich in Leonas Schlafzimmer zurückgezogen, um ein Weilchen kichernd die Köpfe zusammenzustecken. Charlie und ich gingen in sein Arbeitszimmer, um ein paar Steuerfragen zu bespre­chen, und er kam mir ungewöhnlich still vor. Er spielte mit den Gegenständen auf dem Kaminsims herum und sagte auf einmal: »Du, Paul, tu mir einen Gefallen und hör auf, in dieser Art und Weise an meine Frau zu denken, ja?«
    Es war, wie wenn man ruhig in einem geparkten Auto sitzt und einem plötzlich jemand hinten reinfährt. Einen Augenblick lang konnte ich nicht antworten, und dann brachte ich bloß ein schuldbewußtes Stottern hervor.
    »Reden wir nicht mehr darüber«, sagte Charlie gnädig. »Sie sollte auch wirklich nicht solche Kleider tragen. Mich hat bloß geärgert, was du gedacht hast. Deshalb laß es in Zukunft bitte.«
    »Hör zu, Charlie«, sagte ich mit erstickter Stimme, »ich bin eines jener seltenen Exemplare, ein glücklich verheirateter Mann nämlich. Leona ist eine sehr schöne Frau, aber ...«
    »Ich sagte, reden wir nicht darüber.« Er lächelte wie der Filmheld, dem gerade die Kugel mit dem Taschenmesser herausgeholt wird.
    Ich erzählte Audrey nichts von dem Vorfall – aus Angst, mißverstanden zu werden. Um die Wahrheit zu sagen, es war mir wirklich während des Abendessens flüchtig ein lüsterner Gedanke durch den Kopf gegangen. Wenn ich mich richtig erinnere, war es der Moment, als Leona sich vorbeugte, um die Kerzen auf dem Tisch an­zuzünden. Es bekümmerte mich, daß mich mein Ge­sichtsausdruck so ohne weiteres verraten hatte, und ich beschloß, mir an den ausdruckslosen Indianern ein Bei­spiel zu nehmen.
    In der darauffolgenden Woche erfuhr ich dann, daß Charlies Intuition sehr viel komplexer und auch erstaunli­cher war. Wir vier waren in ein französisches Restaurant gegangen, und während des Essens goß Charlie dem Kell­ner plötzlich ein Glas Wein ins Gesicht. Das magere, fla­che Gesicht war unbewegt wie das eines Buddhas gewe­sen, doch Charlie hatte seinen Bordeaux hineingeschüttet. Um einer Szene aus dem Weg zu gehen, blieb uns nur der sofortige Aufbruch. Auf der Fahrt zu unserer Wohnung war Leona starr vor Entrüstung, und Charlie preßte in un­erklärlichem Groll die Lippen zusammen. Ich versuchte, ihn zur Vernunft zu bringen, indem ich ihm sagte, daß er sich das beleidigende Verhalten des Kellners nur eingebil­det habe, aber er war davon überzeugt, daß er es besser wisse. Aber woher konnte er das?
    »Es ist ein Fluch, ein verdammter Fluch«, stöhnte er. Wir waren allein in dem vollgestopften Alkoven, den ich mein Refugium nenne. »Ich nehme an, daß ich schon so lange in Leona vernarrt bin, daß es meinen Kopf in Mit­leidenschaft gezogen hat. Es ist ja nicht so, daß ich dieses verdammte Kunststückchen bei etwas anderem fertig­brächte. Lieber Gott, ich wäre ein reicher Mann, wenn ich das könnte! Nein, nur durch

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