Das Morden ist des Mörders Lust. Geschichten.
hörte – und zwar unerwarteterweise durch Audrey. Sie hatte eines Morgens einen Anruf von Leona bekommen und mit ihr in der Stadt zu Mittag gegessen. Als ich an jenem Donnerstagabend nach Hause kam, wartete Au- drey schon ungeduldig auf mich, um mir die tragischen Einzelheiten zu berichten.
»Die arme Leona!« sagte sie. »Du hast ja keine Ahnung, was diese Frau durchgemacht hat. Ehrlich, wenn sie nicht so verflixt gut aussähe, hätte ich heulen können. Sie trug einen Nerz, der ging ihr bis hierher.«
»Na, wie schön, daß Charlie wieder obenauf ist.«
»Ich fürchte, die Sache ist anders«, sagte Audrey unglücklich. »Der arme Charlie ist tot, Paul. Den Nerz verdankt sie seiner Lebensversicherung.«
»Charlie tot?«
»Ist das nicht schrecklich? Natürlich wußten wir beide, wie krank er war, aber ich hätte nie gedacht, daß es tödlich sein könnte. Leona ebensowenig. Er fing an, diese gräßlichen Kopfschmerzen zu kriegen, und er nahm sehr ab. Dann fingen diese Anfälle an, richtige Schlaganfälle. Er rollte sich dann auf der Erde und schrie vor Schmerzen, manchmal mitten auf der Straße. Sie klapperten alle möglichen Ärzte ab, aber keiner konnte helfen. Einen von ihnen griff Charlie sogar an, so wie damals den Psychiater. Natürlich verlor er immer wieder seine Arbeit. Sie mußten das Haus verkaufen und sich etwas ganz Billiges suchen. Sie wären glatt verhungert, wenn Leona nicht die Initiative ergriffen und eine Stellung angenommen hätte.«
»Leona ist arbeiten gegangen?«
»Sie mußte ja. Und da kam es schließlich auch zur Katastrophe. Sie hatte erst seit einer Woche dort gearbeitet, als Charlie kam, um sie um fünf Uhr abzuholen. Und genau da passierte es. Er hielt sich den Kopf und fing an zu schreien, und dann stürzte er zu Boden. Er starb, im Angesicht des ganzen Büros.«
»Wie furchtbar«, sagte ich. »Armer Charlie!« »Und arme Leona«, sagte Audrey. »Aber wenigstens war Charlie weitblickend genug, eine Versicherung abzuschließen, so daß sie nicht mehr zu arbeiten braucht.«
»Was hat sie denn gemacht?«
»Sie war Stenotypistin«, sagte Audrey. »Beim US-Flottenstützpunkt in New London.«
Die Läuterung des Salvadore Ross
S alvadore Ross, arm, mager und verschmäht von dem einzigen Mädchen, das er je geliebt hatte, hatte an jenem Freitagnachmittag in der Abfüllanlage mehr als das ihm eigene Glück. Er rutschte auf dem Laufsteg in einer glitschigen Pfütze aus und stürzte vier Meter tief auf den Betonboden. Er brach sich das rechte Bein und wurde fluchend mit dem Notarztwagen zum Städtischen Krankenhaus gefahren. Auf der Station dort kam er neben einem keuchenden alten Mann mit Lungenentzündung zu liegen. Als ihn am nächsten Tag ein Arzt abtastete, schrie Salvadore auf und bedeutete Doktor, Krankenhaus, Greis und Abfüllanlage, sie sollten sich zum Teufel scheren.
Am folgenden Tag war er ruhiger; sein junges Gesicht mit der eingedrückten Boxernase war in das Kissen eingemeißelt wie das wuschelhaarige Haupt eines Wasserspeiers. Dann begann der Alte, Klagen vor sich hin zu murmeln.
»Ach, du bist doch gar nicht so schlecht dran«, sagte Sal. »Du solltest dir nur mal ein Bein brechen wie ich, Freund, dann wüßtest du, was Probleme sind.«
»Gebrochenes Bein!« Der alte Mann wischte sich verächtlich über den Mund. »Hör mal, ich tausche jederzeit dein gebrochenes Bein ein. Mußt mich nur fragen.«
Sal griente. »Also gut, ich frag dich. Du gibst mir deine kleine Erkältung da und kannst mein gebrochenes Bein dafür haben. Sieh halt zu, wie dir das gefällt, Opa.«
»Du weißt ja nicht, was du sagst. Ein junger Gaul wie du kann sich doch beide Beine brechen und in einem Monat schon wieder zum Tanz gehen.«
»Was ist los, Opa, willste kein Geschäft machen? Los, tausch dir mein Bein ein, abgemacht?«
Der Alte kicherte. »Na klar, abgemacht.«
Am nächsten Morgen meinte Sal, daß irgendwo in der Nähe seines Bettes ein Fenster offengestanden haben mußte, denn er wachte mit einem trockenen Husten und einem tief in seiner Brust sitzenden Keuchen auf. Die neuen Symptome lenkten ihn von seinen Schmerzen im Bein ab, und als der Arzt vorbeikam, um die Bruchstelle zu untersuchen und fürs Eingipsen vorzubereiten, lachte Sal und meinte hustend, das verdammte Ding habe sich wohl ganz von selbst geheilt.
Der Arzt warf nur einen Blick auf das Bein, eilte dann aus dem Krankenzimmer und kam schon fünf Minuten später in Begleitung eines
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