Das Morden ist des Mörders Lust. Geschichten.
Leona, einzig und allein durch Leona funktioniert es.«
»Funktioniert was?« fragte ich.
»Meine verfluchte Telepathie. Lach mich nicht aus, Paul, es ist wahr! Ich kann Gedanken lesen. Ich meine das im wahrsten Sinne des Wortes, ich kann jedes gemeine Wort, jeden miesen, schmutzigen Gedanken in ihren Köpfen hören, wenn sie sie ansehen. Selbst du«, sagte er vorwurfsvoll, »ich konnte genau hören, was du an jenem Abend dachtest, als Leona die Kerzen ansteckte.«
Ich hustete ein bißchen.
»Schau mal, Charlie«, sagte ich begütigend, »niemand kann Gedanken lesen, die sind Privateigentum. Du bist einfach auf ganz altmodische Weise eifersüchtig, Junge, und das macht dich überempfindlich, wenn jemand deine Frau ansieht.«
»Ich sag dir doch, ich kann! Heute abend habe ich die Gedanken des Kellners gelesen, Paul – und zwar auf Französisch! Ich weiß nicht mal, was er wirklich gedacht hat, ich spreche kein Wort Französisch. Es war einfach sein innerliches Feixen, das die Gedanken begleitete …«
»Ich kann ein bißchen parler«, sagte ich. »Was hat er – gedacht?«
Charlie sagte es mir, und ich wurde rot.
»Du weißt gar nicht, wie mir das zusetzt«, jammerte er und massierte mit beiden Händen seine Stirn, »es wird schlimmer und schlimmer. Ich kann nicht die Straße entlanggehen, ohne diesen Schwall schmutziger Gedanken, der sich über uns ergießt. Ich möchte jeden Mann, der sie ansieht, umbringen. Ich bin die ganze Zeit so voller Wut, daß ich weder richtig essen kann, noch schlafen, noch …«
»Nun mach mal nen Punkt«, sagte ich. »Selbst wenn es stimmt, selbst wenn du Gedanken lesen kannst, darfst du dich davon nicht zugrunde richten lassen. Du weißt schließlich, wie die Männer sind. Es ist bloß natürlich, sich über eine attraktive Frau Gedanken zu machen, das liegt in der menschlichen Natur. Das ist doch nicht persönlich gemeint ...«
Er lachte bitter. »Das sagst du. Weil du nämlich nicht weißt, wie persönlich es wird, wenn es sich um deine Frau handelt, die der Gegenstand ihrer Gedanken ist. Es macht mich einfach krank, Paul!«
»Charlie«, fragte ich, »hast du jemals daran gedacht, zu einem Psychiater zu gehen?«
»Ich war mal bei einem«, sagte er müde. »Nach meiner dritten Sitzung kam Leona, um mich abzuholen. Ich habe den alten Lustmolch fast erwürgt, als ich hörte, was er dachte.«
Als ich Audrey von unserer Unterhaltung berichtete, schnappte sie nach Luft und sagte dann: »Also, das war es, was Leona meinte! Ich nehme an, er hat mit Mr. Luppman dasselbe gemacht. Arme Leona!«
»Wer ist Mr. Luppman?«
»Charlies Chef. Charlie ist gestern gefeuert worden, wußtest du das nicht?«
Nach jenem Abend sahen wir die Blackburns über einen Monat lang nicht mehr. Tatsächlich bildeten wir nie wieder ein Quartett, aber ich traf Charlie zufällig in einem Selbstbedienungsrestaurant in der 58. Straße. Er saß allein an einem Tisch und nagte an einem Hamburger, und einen Augenblick lang erkannte ich ihn nicht wieder. Er war dünner geworden, er war blaß, und um seine Augen lagen so tiefe Schatten, daß ich zuerst dachte, er trüge eine Sonnenbrille. Als ich auf ihn zuging, sah er mich verwirrt an, fast so als kenne er mich nicht.
»Charlie«, sagte ich, »um Himmels willen, warst du krank?«
Er zog die Lippen zurück, aber ein Lächeln war das nicht.
»Mir geht’s gut«, sagte er. »Es war ein schlimmer Monat, aber jetzt geht es wieder. Ich bekomme wahrscheinlich einen Job bei Merrill Lynch. Jetzt wird alles gut.«
»Und wie geht es Leona?«
»Leona ist okay«, sagte er verbissen. »Solange sie bleibt, wo sie ist, ist sie okay.«
»Bleibt, wo sie ist? Wo ist sie denn?«
»Im Haus! Wo sie hingehört!« Er schrie es fast und lenkte die Aufmerksamkeit der anderen Gäste auf sich. Er entschuldigte sich und beugte sich über seinen Kaffee. »Du weißt noch, was ich dir erzählt habe«, sagte er leise, »über das Gedankenlesen?«
»Ja?«
»Es ist so schlimm geworden, Paul«, flüsterte er. »Neuerdings kriege ich davon Kopfschmerzen, entsetzliche Kopfschmerzen. Aber es geht, wenn Leona sich nicht aus dem Haus rührt …« Er sah auf seine Uhr und stand auf. »Ich muß los«, sagte er. »Muß sehen, daß ich diesen Job kriege. Bis bald, Paul.«
Er ging, und wie sich später herausstellte, hatte er sich in doppelter Hinsicht geirrt. Er bekam weder die Stelle, noch sahen wir uns je wieder.
Fast ein Jahr verging, ehe ich wieder von den Blackburns
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