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Das Morden ist des Mörders Lust. Geschichten.

Titel: Das Morden ist des Mörders Lust. Geschichten. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Slesar
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Stimmt’s, Iris?«
    Sie wandte sich ab. »Ich möchte nach Hause«, sagte sie. »Ich möchte Mutter Klothilde …« Dann begann sie zu weinen, still wie ein Kind.
    Es war Frühling, aber der Tag hatte schon etwas Sommer­liches. Als David und Tante Faith vom Mädchenheim zu­rückkehrten, sah die alte Frau aus dem Wagenfenster, aber die Schönheit der Landschaft vermochte ihre Stimmung nicht aufzuheitern.
    »Na, komm schon, du alte Zigeunerin«, lachte David, »deine kleine Hellseherin war doch ein Riesenerfolg. Alles, was der Polizei jetzt noch zu tun bleibt, ist, Ge­raldine in San Francisco zu finden – wenn sie nicht in­zwischen auf einem Schiff in Richtung Südsee unter­wegs ist.«
    »Ich verstehe das nicht«, sagte Tante Faith. »Es ist nicht Geraldines Art, einfach ohne ein Wort davonzulaufen. Warum hat sie das getan?«
    »Ich weiß es nicht«, antwortete David.
    Später an diesem Tage fuhr er in die Stadt. Als er Lucas am Depot neben seinem schwarzen Taxi stehen sah, hielt er an und stieg aus, ein breites Lächeln auf dem Gesicht. »Hallo, Lucas. Wie geh’n die Geschäfte?«
    »Könnten besser sein.« Lucas sah ihn forschend an. »Ir­gendwelche Neuigkeiten für mich, Mr. Wheeler?« »Schon möglich. Vielleicht können wir in dein Büro ge­hen?«
    Er schlug Lucas auf die Schulter, und dieser ging ihm ins Büro voran. Er schloß sorgfältig die Tür und bedeutete dem Taxifahrer, er solle sich hinsetzen.
    »Es ist alles überstanden«, sagte David. »Ich komme ge­rade vom Mädchenheim. Wir haben Iris Lloyd zurückge­bracht.«
    Lucas ließ seiner breiten Brust einen tiefen Seufzer ent­fahren. »Sie hat’s also nicht gewußt? Sie hat nicht gewußt, wo die … diese Frau steckt?«
    »Sie wußte es nicht, Lucas.«
    Der Taxifahrer lehnte sich zurück und drückte seine Handflächen gegeneinander. »Dann hab ich das Richtige getan. Ich wußte, daß es richtig war, Mr. Wheeler, ich wollte es Ihnen aber nicht sagen.«
    »Das Richtige? Was meinst du damit?«
    Lucas kniff schlau, wie er meinte, die Augen zusammen.
    »Ich dachte mir, daß das Mädchen es rausfinden könnte, wenn die Leiche direkt beim Haus begraben ist. Daß sie sie aber niemals finden würde, wenn sie woanders wäre. Stimmt’s nich? Irgendwo weit weg?«
    Es würgte David im Hals. Er stürzte sich auf Lucas und packte ihn am Kragen seiner Wolljacke.
    »Wovon redest du? Was meinst du mit irgendwo an­ders?«
    Lucas war zu erschrocken, um antworten zu können.
    »Was hast du gemacht?« schrie David.
    »Ich hab’ schon befürchtet, daß Sie sauer sein würden«, winselte Lucas. »Ich wollte es Ihnen nicht sagen. Letzte Woche bin ich mal nachts rausgegangen in den Wald und hab die Leiche der Frau ausgegraben. Ich hab sie in den
    Schrankkoffer von ihr getan, Mr. Wheeler, und den hab ich mit der Bahn weggeschickt, so weit weg, wie’s ging. Zum entferntesten Ort, den ich kannte, Mr. Wheeler. Des­halb konnte Iris Lloyd sie nicht finden. Sie ist jetzt zu weit weg.«
    »Wo? Wo ist sie, du Idiot? In San Francisco?«
    Lucas murmelte entsetzt etwas und nickte dann mit sei­nem struppigen Kopf.
    Der Chef der Gepäckabteilung hörte sich die Fragen der beiden Polizisten in Zivil aufmerksam an, zuckte mit den Achseln, als sie ihm die Fotografie der Frau zeigten, und führte sie dann zu dem Raum im rückwärtigen Teil des Bahnhofes, wo die nicht abgeholten Gepäckstücke aufbe­wahrt wurden. Als er auf den Schrankkoffer deutete, auf dem die Initialen G. W. standen, wechselten die beiden Männer einen Blick. Dann gingen sie langsam hinüber. Sie erbrachen das Schloß und hoben den Deckel hoch.
    Dreitausend Meilen entfernt setzte sich Iris Lloyd in ihrem schmalen Bett im Schlafsaal des Mädchenheims auf und starrte keuchend in die Dunkelheit – sie fragte sich, was für ein seltsamer Traum ihren unbeschwerten Schlaf ge­stört haben mochte.

Tödliche Eifersucht
    M eineFrau war mit Leona Blackburn seit ihrer Kind­heit befreundet, und durch sie lernte ich Charlie Blackburn kennen, einen Mann, den ich nacheinander be­neidete, bedauerte und betrauerte. Mit einer Ausnahme war Charlie in jeder Hinsicht erfolgreich und sympathisch; man war gern mit ihm zusammen. Als amtlich zugelasse­ner Wirtschaftsprüfer war er eine Quelle für gerissene Steuertips und realistische Markteinschätzungen, und nachdem die Freundschaft zwischen uns vieren fester ge­worden war, leistete er mir bei meinen eigenen verworre­nen Geldangelegenheiten unschätzbare Dienste. Seine

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