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Das Morden ist des Mörders Lust. Geschichten.

Titel: Das Morden ist des Mörders Lust. Geschichten. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Slesar
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säuerlich blickenden, mit einem Stethoskop bewehrten Herrn in einem zerknitterten grauen Anzug wieder. Sie untersuchten beide das Bein, und der Sauergesichtige murmelte etwas von einer falschen Dia­gnose. Dann ordnete er eine Reihe von Tests an. Erst als sie ihn endlich in Ruhe ließen, fing der alte Mann im Nachbarbett an zu stöhnen und über sein Bein zu klagen. Sal sah der neuerlichen Untersuchung interessiert zu, aber er kannte ihr Ergebnis, noch bevor die Experten es ver­kündet hatten. Er lachte in sich hinein und erinnerte sich an das Tauschgeschäft. Das amüsierte ihn so sehr, daß er sich nicht einmal über diese mysteriöse Transaktion wun­derte. Er war höchst zufrieden. Der Alte meckerte mehr denn je, und Sal hatte recht behalten. Ein gebrochenes Bein war wirklich tausendmal schlimmer als so eine lausi­ge Erkältung.
    Es bedurfte zehn weiterer Tage, um seine Lungen wieder frei zu bekommen, aber dann war er fit genug, um das Krankenhaus verlassen zu können. Sein erster Gedanke bei der Entlassung war, zu sehen, wieviel Mitgefühl er bei dem Mädchen finden würde, das er liebte.
    Leah Maitland war das hübscheste Mädchen der Umge­bung, und Sal war ihr schon seit der Schulzeit hoffnungs­los verfallen. Aber sie war zu hübsch für ihn; sie hatte große braune Augen und eine Figur, die die billigsten Fet­zen wie aus Seide gemacht und teuer aussehen ließ. Sie war zudem viel zu klug für ihn; ihr Vater war ein pensio­nierter Lehrer, der ein Umhängetuch um die Schultern trug wie eine alte Dame und der jedesmal mißbilligend schnalzte, wenn er Sals ungehobelte Reden vernahm. Als Sal an Leahs Tür klopfte, hoffte er, ihr Vater wäre nicht zu Hause. Aber er war.
    »Leah ist nicht da«, sagte er. »Sie ist in der Schule.«
    »Schule?« Sal staunte den alten Mann an und schaute tö­richt auf das zerlumpte Stück Stoff auf seinen gebeugten Schultern.
    »Sie besucht das Lehrerseminar, wußtest du das nicht? Sie müßte aber bald kommen, wenn du warten willst.«
    »Macht nichts«, sagte Sal. »Sagen Sie ihr bloß, daß ich da war. Sagen Sie ihr ...« Er hielt inne. »Sagen Sie ihr, daß ich krank war, daß ich jetzt aber wieder in Ordnung bin. Sagen Sie ihr, daß ich sie bald mal anrufen werde.«
    Der alte Mann runzelte die Stirn, und das zerfurchte, mißbilligende Gesicht ließ Sal zu Lügen Zuflucht nehmen.
    »Sagen Sie ihr, daß ich meinen Job in der Fabrik gekün­digt habe. Sagen Sie ihr, daß ich einen viel besseren Job habe und daß jetzt alles ganz anders ist bei mir.«
    »Anders? Wie anders?«
    »Eben anders«, sagte Sal. »Einstweilen denn, Mr. Maitland.« Er hakte die Daumen in seine Hosenta­schen, stieg die Treppenstufen hinunter und fühlte sich unerklärlicherweise besser.
    Eine seiner Lügen ließ er wahr werden. Er rief in der Fa­brik an und teilte dort mit, daß er kündige. Dann feierte er.
    »Kannst du das auch bezahlen?« fragte der Barkeeper und hielt die Flasche fest. »Du hast gesagt, du hättest ge­kündigt.«
    »Klar, Phil, ich hab Geld. Entschädigung von der Fir­ma.«
    Phil, ein schwergewichtiger, kahlköpfiger Mensch, der einen Anhänger mit religiösem Motiv an einer klirrenden Kette um seinen verschwitzten Hals trug, grunzte und schenkte ein. Dann nahm er Sals Dollar und legte ihn in die Registrierkasse. Er machte eine wahre Zeremonie dar­aus, wie er die Kasse klingelnd aufspringen ließ und den Geldschein hineinschob. Sal beobachtete ihn und leckte sich beim Anblick des dicken grünen Stapels die Lippen. »Ich wünschte, ich hätte deine Knete da«, sagte er.
    »Sei dankbar für das, was du hast«, sagte Phil fromm.
    »Und das wäre?«
    Der Barkeeper dachte über die Frage nach. Dann lächelte er gutmütig. »Na, du hast Haare. Das ist mehr, als ich ha­be.«
    »Möchtest du das Haar haben? Nimm’s.« Sal zupfte an seinen Locken. Phil lachte, nicht aber Sal. »Nein, wirklich. Wenn du das Haar haben möchtest, ist es deins. Weißt du, was im Krankenhaus passiert ist? Ich hab von einem alten Kerl die Lungenentzündung eingetauscht. Er kriegte mein gebrochenes Bein und ich seine Lungenentzündung. Was sagste dazu?«
    »Ich hör ne Menge komischer Geschichten.«
    »Was ist los, Phil? Du hast doch diesen Glaubenskram voll drauf. Ich werd dir was sagen. Du gibst mir die Mäuse in deiner Kasse und kannst dafür mein Haar haben. Ist das
    nix?«
    »Klar, das issen Geschäft.« Phil lachte. Er wischte mit einem Feudel um Sals Ellenbogen herum und ging dann weg, um einem anderen

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